Interviews
03.05.2016 Vincenzo Sarnelli  
MC Rene auf dem Peoples Music Festival

Untergrund ist eine Haltung

​Am Mittwoch, den 04. Mai, werden die Trierer Clubs zum Festivalgelände. Dann, wenn das Peoples Music Festival mit seinem reichhaltigen Programm für einen Tag voller Musik und Unterhaltung aufwartet. MC Renes Auftritt zusammen mit Figub Brazlevič im Club 11 ist eines der Highlights des Festivals. Wir sprachen mit dem Künstler über Marokko, seine ​Haltung zum Mainstream und den Auftritt in Trier. 

 
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​hunderttausend.de: Hey Rene, ich hab bei Facebook gesehen, dass Du vor Kurzem in Marokko warst. Erzähl uns, wie wars?

MC Rene: War eine besondere, schöne Erfahrung. Ich bin ja selbst Halb-Marokkaner väterlicherseits und habe da auch zum ersten Mal Familienbande geknüpft. Das heißt also Tanten, Onkel, Cousins kennen gelernt und das war ein schönes Ge​fühl, da auch mal die Heimat, die ich nicht kannte, zu entdecken und schätzen zu lernen. Sehr emotional und privat. Das war der eine Teil meiner Reise. Beim anderen Teil habe ich mich mit Figub​​ Brazlevič​ in Marrakech getroffen und wir haben dann dort eine neue Platte produziert. 

Du wirst mit Figub zusammen beim Peoples Music Festival auflegen. Spannend also, dass Du mit ihm grade eine Platte produziert hast. Zunächst: Wie habt Ihr Euch eigentlich kennen gelernt?

Das muss so 2013 gewesen sein. Und zwar habe ich mit ja mit Flowin Immo und Spax zusammen ein Projekt gehabt. Und da waren wir zusammen im Studio. Der Immo hatte dann ein paar Beats von Figub dabei. Auf die haben wir dann gerappt. Im Zuge dessen habe ich also seine Musik kennen gelernt. Ich hab ihn dann ganz simpel über Facebook angeschrieben. So kam der Kontakt zustande, die Sympathie war sofort vorhanden. Wir haben uns dann einfach mal ganz unverbindlich bei ihm getroffen und da sind direkt ein paar dope Tracks entstanden. Da war einfach eine Chemie, dass man auch immer mal wieder zwischen Tür und Angel gesagt hat, dass man ein komplettes Projekt zusammen machen müsste und das haben wir jetzt in die Tat umgesetzt. 

Und warum grade in Marokko? 

Wir haben im Januar darüber geredet, zusammen Musik zu machen. Die Bedingungen sind aber geiler, wenn man ein bisschen isoliert ist von seinem alltäglichen Leben. Also haben wir überlegt, wo wir das machen könnten. Und dann bekam ich vom Schicksal quasi einen Wink mit dem Zaunpfahl. Ich dachte mir also, warum nicht in Marokko? Und er hatte da auch total Bock drauf. Ich bin dann wegen der familiären Angelegenheiten schon etwas früher geflogen und er kam dann später nach. Ich bin dann von Casablanca mit dem Zug nach Marrakech gefahren und dort haben wir uns getroffen und ein Appartement gemietet. Wir haben dann auch zusammen Ausflüge gemacht, sind mal in die Berge gefahren und sowas. Wir haben viel auch direkt visuell aufgenommen, also nicht nur Tracks produziert, sondern direkt dazu auch die Videos gedreht. Auch, um die Atmosphäre die wir in Marokko erlebt haben, mit zu nehmen. 

Also hatten die privaten Dinge und die Eindrücke, mit denen Du dort konfrontiert wurdest, auch Einfluss auf die Tracks?

Zum Teil auf jeden Fall. Das lässt sich natürlich vermeiden. Aber man muss differenzieren. Es sind schon persönliche Dinge mit da drin, aber es sind keine privaten Sachen. Ich will es mal so beschreiben: Es sind eher so Snapshots. Man hat bestimmte Eindrücke und die verarbeitet man dann in den Rhymes. Um auch den Zuschauern so visuelle Flashbacks zu geben. Das hat uns definitiv beeinflusst. Nicht in allen Tracks, aber in einigen. Da sind gute Sachen bei raus gekommen.

Du hast Deine Facebook-Follower ja an deinem Trip teilhaben lassen, indem Du Facebook-Live benutzt hast, um Fragen zu beantworten und so. Wie wichtig sind Dir solche Social-Media-Aktivitäten?

Dadurch, dass man eine direkt Kommentarfunktion hat zu dem, was ich im Video sage, ist das ein Austausch. Man bekommt da durchaus Anregungen und es macht in erster Linie einfach Spaß. Ich finde auch die Idee faszinierend, dass man mit dem Handy in einem Café in Marrakech sitzt und ein bisschen was erzählt. Es ist also erstens der Spaß, zweitens der Austausch und drittens habe ich damit unabhängig von den Medien eine eigene Plattform. Die Leute kriegen die Infos aus erster Hand. Ich mag auch Interviews und so, aber die direkte Kommunikation ist schon noch mal was Anderes. Darüber hinaus finde ich auch, dass das mein Job ist. Mein Beruf ist meine Leidenschaft und die Kommunikation mit den Leuten gehört da mit dazu. Mir macht es aber in erster Linie viel Spaß. 

Lass uns über Musik sprechen. Ich bin in Deinem Facebook-Profil auf eine interessante Grafik gestoßen, die den Unterschied zwischen dem "Rap-Business" und dem "Hip-Hop-Underground" beschreibt. Erklär uns diesen Unterschied doch mal kurz mit Deinen Worten.

Ich muss erstmal sagen, dass ich die Grafik nicht entwickelt habe. Ich hab sie nur aufgegriffen, weil ich es eigentlich ganz bezeichnend fand. Eins muss ich aber vorneweg klarstellen: Untergrund ist für mich eine Haltung. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass mit Musik Geld verdienen für mich sowas wie eine Sünde ist. Es gibt diesen Satz von den Stieber Twins: "Gegen den Verkauf von Hip-Hop hab ich gar nichts, was ich hass’, ist der Verkauf von falschen Images." Im Grunde genommen ist die Hip-Hop Kultur etwas, was mir geholfen hat, meine Identität zu definieren. In dem Augenblick, wo fremde Mechanismen wie die Industrie hingehen und einfach nur abernten, das gefällt mir einfach nicht. Ich sehe viele Leute, die sich dafür dann auch verbiegen. Wenn die dann 'ne neue Platte rausbringen, erinnert mich das eher an Parteien bei einer Wahl mit den ganzen "Kampagnen". Es instrumentalisiert sich fast schon von selbst. Leute, die früher gerappt haben "Ja, ich würd nie dieses oder jenes machen" sind vom Rebell plötzlich selbst zum Establishment geworden. Vergleichbar mit der 68er Generation, die später selbst zu den Leuten geworden sind, die sie damals bekämpft haben. Deutsch-Rap, das Wort alleine schon. Hip-Hop oder Rap-Musik lässt sich nicht kategorisieren. Ich mache Hip-Hop in deutscher Sprache, aber ich gehe über jede Grenze hinaus. Dann gibt es Partys, da läuft dann nur "DEUTSCHER RAP". Das lehne ich ab. Wenn man also die Grafik auf mich bezieht, dann ist dieses Deutsch-Rap das Business und ich lebe in der freien Natur und nehme das, was mir das Hip-Hop-Land zur Verfügung stellt (lacht). 

Da schwingen zwei Dinge mit: Zum Einen die Kritik an der Industrie und zum Anderen Kritik an den Leuten, die es der Industrie sehr leicht machen…

Naja. Ich arbeite ja auch zum Teil mit der Industrie zusammen, aber zu meinen Bedingungen. Ich bin der, der die Dinge abnimmt und ja oder nein sagt. Wenn ich im Gegenteil aber total viel mache und mich dann aber total verbiege, nur damit das in die Zielgruppe der Industrie passt, dann habe ich mich verkauft. Das ist es. Nicht, dass man aus dem, was man macht, grundsätzlich Kapital schlägt. Man muss sich als Künstler aber immer rechtfertigen. Ich finde diese Analogie ganz passend: Ein Restaurant fragt einen Künstler, ob der nicht umsonst bei ihnen auftreten will, das wäre doch immerhin Publicity. Und der Künstler schreibt dann zurück, dann komme ich auch in ihr Restaurant und esse dort umsonst, das ist ja auch Promotion. Untergrund ist also eine Haltung, sich selbst treu zu bleiben. Klar entwickelt man sich weiter und Ansichten verändern sich, aber sich treu bleiben ist eine wichtige Sache. Aber heute wollen die Leute nicht mehr anecken. Die Leute wollen lieber alle gleich sein. In ihrem Individualisierungsdrang sind sie dann am Ende aber doch alle total gleich und verschwinden in der Masse.

Aber hat nicht grade die Öffnung hin zum Mainstream erst zum großen Erfolg des, vor allem deutschsprachigen, Hip-Hops geführt? Wenn man dran denkt, dass plötzlich deutscher Hip Hop mit Rock- und Punkelementen gemixt wurde und sowas. Oder wenn jemand wie Casper, der ja als Emo-Rapper verschrien war, die jungen Leute vor die Bühne lockt. Hat sowas dem deutschen Hip-Hop in Gänze eher genutzt als geschadet?

Zunächst: Der Künstler Casper ist ja auch sehr talentiert und zurecht erfolgreich. Er hat viel dafür getan. Ich persönlich profitiere aber nicht von seinem Erfolg. Grundsätzlich zur Offenheit von Musik: Es ist doch genial, wenn man sich durch Melodien inspirieren lässt, die man in diesem Crossover vielleicht noch nicht gehört hat. Früher gab es auch Gruppen wie Rage Against The Machine, wo Rap das Medium ist und die Leute durchaus aus einem Hip-Hop Kontext kommen, die Musik aber eine völlig andere ist. Aber wenn jemand wie Cro oder so jemand erfolgreich ist, das ist für das, was ich mache, eher irrelevant. Ich verurteile das nicht. Es wirkt nur so, dass Leute, die diesen Mainstream hören, die gehen dann auch gerne zu Mario Barth oder zu Helene Fischer. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Masse. Das wird für mich etwas zu flach. Aber wenn jemand erfolgreich damit ist, und da stimme ich Dir schon zu, dann macht das Türen auf und lässt das Phänomen Rap oder Hip-Hop als Jugendkultur zu. Früher wurde das belächelt als Jugendzentrumsscheiß. Heute muss man sich überlegen, wie viele Künstler erfolgreich sind: Sido, Marteria und so Leute. Die füllen heute halbe Stadien. Das hätte man früher auch nicht gedacht, dass man die Massen so begeistern kann. Unabhängig vom eigenen persönlichen musikalischen Geschmack oder Schaffen finde ich diesen Effekt geil. Das zeigt aber auch, dass der Hip-Hop immer noch die prägendste Musikrichtung der jüngeren Musikgeschichte ist. Es gibt heute kein komplett neues Genre, das entsteht. Da war der Hip-Hop zusammen mit dem Techno der letzte. Klar gibt es kleine Dinge, aber nicht in dieser Gewalt. In Mode, Sprache, Verhalten - das ist Enorm, dass sich innerhalb des Genres so gegensätzliche Geschmäcker entwickelt haben, die gar nichts mehr miteinander zu tun haben. Wenn man meine Rap-Musik nimmt und die von anderen, liegt das manchmal total weit auseinander, außer dass es einen Kick und 'ne Snare gibt und man in Reimen spricht. Das hat von der Attitüde her nichts mehr miteinander zu tun. 

Würdest Du denn sagen, dass der "Untergrund", so wie Du ihn lebst und empfindest, automatisch mehr Freiheit bedeutet?

Kommt drauf an, wie man seine persönliche Freiheit definiert. Für meine Musik muss ich ja auch die Konsequenzen tragen. Ich arbeite auch mit Leuten zusammen, die Zeit und Geld investieren, so wie ich selbst auch. Aber ich stehe nicht zwingend unter diesem Druck, dass es erfolgreich sein muss. Für mich ist es so, dass ich eine neue Platte rausbringe und dort einfach sage, was ich grade fühle. Ich muss nicht bestimmte Dinge bedienen, um Zielgruppen zu befriedigen. Viele meiner Kollegen von früher stehen massiv unter diesem Druck, unbedingt erfolgreich sein zu müssen. Das möchte ich nicht. Und ich habe auch das Gefühl, dass das durchaus auch als erfrischende Alternative angenommen wird. Ich würde meine Musik nicht zwingend als Deutsch-Rap bezeichnen, sondern eher als eine Art Alternative dazu. Zumindest aus meiner Sicht. Es muss ja immer alles kategorisiert werden. Aber schwierige Frage. 

Dann lass uns zu etwas Einfacherem kommen. Figub und Du, Ihr werdet ja beim Peoples Music Festival auflegen. Was spielt Ihr? Erleben wir auch ein paar Sachen von dem, was Ihr in Marokko zusammen gemacht habt? 

Also auf jeden Fall würde ich gerne den Leuten die Musik vorspielen, die mir persönlich gut gefällt. Das kann aus dem deutschen Hip-Hop sein. Aber auch amerikanischen coolen Rap-Shit. Kann aber auch mal sein, dass ich Rick James spiele oder so. Ich will mich da jetzt nicht so festlegen. Am liebsten spiele ich aber Sachen, die nicht jeder auflegt. Und der Figub hat ja ein umfassendes Repertoire an eigenen Produktionen. Die werden wir uns an dem Abend natürlich auch zu Nutze machen. Also wir arbeiten auch mit Mikrofon und vielleicht gibt es zwischendurch mal 'nen Freestyle. Aber das ist definitiv kein Konzert, sondern ein Soundsystem mit Mikrofon-Act sozusagen. Es ist also ein Mix aus guter Rap-Musik, zu der man feiern kann, natürlich ein bisschen "funky shit" und der ein oder anderen Freestyle-Einlage. So würde ich es beschreiben.

Das klingt ordentlich nach Party…

Ja, wir geben unser Bestes (lacht). 

Vielen Dank, Rene, für das interessante Gespräch und viel Spaß in Trier!

Foto zVg: Künstler

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