Interviews
24.09.2015 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Max Mutzke in den Thermen am Vierhmarkt

"Klassik ist reine Emotion"

​Max Mutzke, einst Gewinner einer Casting-Show und Teilnehmer am Eurovision Songcontest, spielt am Samstag, den 26. September 2015,​ zusammen mit Mikis Handmade Ensemble im Rahmen des Moselmusikfestival 2015 in den Thermen am Viehmarkt. Wir sprachen mit ihm im Vorfeld über seine neue Platte "Max", seine Liebe zum Jazz und was für ihn ein "buntes Deutschland" ist. 

 
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hunderttausend.de: Hey Max, dein neues Album ist im Juni erschienen. Warum heißt es eigentlich "Max" und nicht "Herr Mutzke"?​

Max Mutzke: (lacht). Das ist ne gute Einstiegsfrage. Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen ehrlich gesagt. Wäre ja fast noch geiler gewesen. (lacht) Ne im Ernst. Ich habe an dem Album fast vier Jahre gearbeitet. Das lag daran, dass ich währenddessen gemerkt habe, dass ich mittlerweile viel zu businessverseucht denke. Ich habe dann beim Songwriting schon darüber nachgedacht, ob der Song denn auch alle Parameter erfüllt, um im Radio laufen zu können. Als ich das gemerkt habe, habe ich nur gedacht: „Darauf hab ich keinen Bock" und habe mich dazu entschieden ein Jazz-Album zu machen. Jazz ist so weit weg von dem kommerziellen Gedanken, auch in der Entstehung schon. Ich kenne in dem Bereich mittlerweile auch viele gute Leute wie Klaus Doldinger oder Nils Landgren. Ich habe also mit meinen ganzen Freunden ein Jazz-Album gemacht und mich mit diesem Album irgendwie wieder resettet. Witzigerweise war dieses Projekt aber das wirtschaftlich Erfolgreichste, was ich je gemacht habe. Wir haben viele Konzerte und Festivals gespielt. Natürlich Jazz-Festivals, aber auch Rock- und Pop-Festivals. Wir sind auch in unterschiedlichsten Besetzungen aufgetreten, mit Orchestern, mit Big Bands. Man wurde hinterher auch noch von allen gelobt. Von der Presse, von den Musikern und vom Publikum. Das war natürlich ein Segen.

Aber?

Aber ich habe mich hinten raus dann einfach gefragt, für was steht mein Name, für was steht Max denn eigentlich noch. Ich habe in der Zeit auch extrem viele Demos gemacht und bin mit denen zu unterschiedlichsten Produzenten gegangen. Viele haben mir dann doch abgesagt und wollten die Verantwortung nicht übernehmen, aus diesen 30 Demos eine Platte zu machen. Ich wusste dadurch natürlich auch immer weniger. Ich hab mich in diesem Urwald immer mehr verloren, bis ich Produzent Andreas Herbig getroffen habe. Der hat nämlich sofort gesagt: „Lass uns das Album machen". Die Songs gingen halt zu Beginn sehr weit auseinander. Aber wir haben das Potential zusammen gesehen. Mir war dann wichtig, dass ich das Album mit einer Band mache, die ich selbst nicht kenne. Wir sind ins Studio gegangen, ohne dass die das Demo kannten und ich habe denen die Songs quasi einfach vorgesungen und mich dazu bewegt. Ich wollte, dass sie die Dynamik und Energie der Songs spüren. Die haben das dann direkt auf die Instrumente umgelegt. Und daraus ist etwas entstanden, was all die Energie und die Vielseitigkeit hat, und es dennoch auf einen Punkt fokussiert. Die Songs sind für sich also alle sehr unterschiedlich, mal rockig, mal jazzig, und dann auch wieder poppig und viel Soul, auf deutsch und englisch. Und trotzdem weiß ich jetzt wofür "Max" steht. Das ist meine Visitenkarte. Das ist also auch der Grund warum es letztendlich "Max" heißt.

Wir kamen auf die Frage vor allem deshalb, weil beim Hören des Albums schon der Eindruck entstanden ist, dass du reifer, erwachsener oder gar bewusster wirkst, so als hättest du etwas aus deiner Sicht zu sagen. Sowohl musikalisch als auch textlich. Wie sind denn die Songs entstanden? Was hat dich beschäftigt? Oder anders gefragt: Was hat sich geändert zu früher?

Du hast schon recht. Bis vor zwei, drei Jahren habe ich eigentlich nicht das Gefühl gehabt, dass ich jemals politisch werden will. Ich wollte niemand sein, der den moralischen Zeigefinger hebt. Und auch biographische Schicksalsschläge will ich eigentlich nicht an die Öffentlichkeit tragen. Aber in der Tat hat sich das ein bisschen geändert. Ich hab einfach in mir drin gespürt, dass ich Songs wie „You Are All Around Me" oder „Hier bin ich Sohn", wo es um meine verstorbene Mutter geht, um ihr Leben, das drum herum und wie ich zu ihr stand, machen musste. Ich hatte für mich das Gefühl, dass es viel ehrlicher ist, wenn ich von meinen Schicksalsschlägen und der Bewältigung und Verarbeitung derselben erzähle. Gemerkt habe ich das aber auch schon vorher beim Song „Durcheinander", der auf dem gleichnamigen Album erschienen ist und die Depression von mir nahe stehenden Menschen behandelt. Da sind nach den Konzerten Leute auf mich zugekommen, die geweint haben bei dem Lied. Nicht weil es so traurig war, sondern weil sie sich verstanden gefühlt haben. Weil sie auch mit diesen Dingen zu kämpfen haben. Das gibt mir extrem viel, wenn ich Leuten das Gefühl vermitteln kann, dass sie nicht alleine sind. Sondern dass der da auf der Bühne auch seine Probleme hat, einer von vielen ist und nicht nur in der schicken Limousine durch die Gegend fährt und in tollen Hotels schläft und nicht weiß, wie sich das richtige Leben anfühlt. Somit hat das Album "Max" den Namen schon zweimal verdient, weil es etwas biographischer ist. Es erzählt viel aus meinem Inneren.

So wie der Song Welt hinter Glas" zum Beispiel

Genau. Die Nummer erzählt von einer Zeit, wo man ganz spontan ins Auto springt und nachts einfach ans Meer fährt. Ein Gefühl, dass hoffentlich viele hatten. Sich nicht darum zu kümmern, ob man am nächsten Morgen in der Schule oder an der Uni sein muss, sondern zwei, drei Tage Blau machen und abhauen. Frisch verliebt sein, alle Perspektiven des Lebens ausleuchten. Das sind schon insgesamt so Dinge, wo sich die vier Jahre Arbeit in dem Album widerspiegeln. Ich will einfach was erzählen.

Du hast eben gesagt, dass du nach dem Jazz-Album immer noch auf der Suche nach dir selbst warst. Und das obwohl eben genau dieses Album ja deine persönliche Flucht vor dem Kommerz sein sollte. Welches Fazit ziehst du denn persönlich für diese Zeit?

Zunächst mal war klar, dass ich diese Sache auf jeden Fall machen musste. Der Drang danach war immens groß. Ein weiteres Soul-Pop-Album hätte mich einfach so an mir selbst zweifeln lassen und Jazz prägt mich schon seit meiner Kindheit. Ich habe diesen Black-Music-Bereich als Kind total aufgesogen. Ich kann mir auch vorstellen, irgendwann ein modernes Blues-Album zu machen, bei dem man nicht denkt „Wie peinlich" sondern eher „Krass, so kann man Blues auch spielen" oder so. Da lasse ich mir einfach alles offen und ich liebe es Neues zu entdecken. Ich weiß aber auch, dass ich dann nicht in so großen Hallen spiele. Wenn ich mir zum Beispiel meinen guten Freund Clueso anschaue, der hat tierische Texte und schöne Melodien, aber eben einheitlich. Das hat alles eine klare Linie. Ich verlasse diese Linie lieber permanent. Dadurch wechselt auch mein Publikum ständig. Wir haben auf der Jazz-Tour plötzlich im Schnitt 15 oder 20 Jahre älteres Publikum gehabt. Aber das war jetzt kein bisschen schlechter. Es war einfach ne ganz andere Stimmung. Jetzt gehen wir mit dem Radio-Hit „Welt hinter Glas" auf Tour und das Publikum ist wieder jünger. Trotzdem stehen da auch noch einige aus der Jazz-Zeit dabei und sind geblieben. Das ist erstaunlich. Ich glaube, ich kann das gar nicht anders machen. Ich kann mich nicht auf dem Ausruhen, was ich gemacht habe. Meine Situationen in meinem Leben erforderten von mir auch ein anderes Verständnis von Musik. So wie du dich in unterschiedlichen Kontexten anderer Sprache bedienst, du redest anders mit deinen Kumpels, als mit deinem Chef oder deiner Freundin, so brauche ich unterschiedliche Musikstile.

Der Song Unsere Nacht" ist zu verstehen als Appell für ein buntes Deutschland. Was ist denn das bunte Deutschland für dich?

Natürlich, grade jetzt zu einer Zeit wo viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ist diese Frage aktueller denn je. Wir brauchen grade ganz viel Fingerspitzengefühl und Voraussicht. Wir müssen uns gleichzeitig auch mit unseren eigenen Ängsten auseinandersetzen und auf diese eingehen. Das gehört alles dazu. Wie viel muss man akzeptieren, was darf man auch nicht akzeptieren? Willen zeigen und ein Gastgeber sein. Das ist natürlich die eine Seite dieses Songs. Es geht aber im bunten Deutschland genauso um Menschen mit Behinderung oder alten Menschen. Ich finde es immer wieder krass zu sehen, wie wenig alte Menschen in unserer Gesellschaft integriert sind. Wenn man sich Italien oder Frankreich anguckt, da sitzen die Generationen alle zusammen, abends bei einem Wein oder spielen gemeinsam Boule. Und wenn Jugendliche vorbei fahren hupen sie und die Alten grüßen zurück. Das ist ein Miteinander. Viele Generationen an einem Tisch. Für mich vereint das bunte Deutschland ursprünglich alle Facetten. Auch Homosexualität zum Beispiel. Jeden Menschen mit welcher sexuellen Ausrichtung auch immer, zu akzeptieren, zu verstehen und zu schätzen. Für mich bedeutet das bunte Deutschland also noch viel mehr, als dass wir Flüchtlinge aufnehmen. Als ich den Song damals geschrieben habe, da war diese Flüchtlingskrise noch in „Weitwegistan". Man hörte zwar immer mal wieder was von Lampedusa, was auch nicht weit weg ist, aber halt nicht hier. Man konnte gar nicht absehen, wie sich das entwickeln wird. Und umso wichtiger ist es jetzt diesen Song noch mal zu setzen. Zum Bewusstsein schaffen dafür, dass Gastfreundlichkeit in einem bunten Deutschland der einzige Weg ist zu einem sozialen Frieden. Auch auf lange Sicht.

Und wie drückt sich das in deinem Alltag aus? Zuhause zum Beispiel. Du bist mit einer Afrikanerin zusammen und hast mit ihr eine Familie

ich bin da ganz froh, dass meine Kinder selten mit den negativen Seiten konfrontiert wurden. Meinen Kleinen wurden bisher zweimal als „Neger" betitelt. Aber das waren in beiden Fällen andere kleine Kinder. Da fragt man sich zwar, was da zuhause so besprochen wird und dann auf den Schulhof getragen wird. Das war natürlich schon krass. Wir hatten aber schon weit vor diesen Vorfällen das Thema zuhause angesprochen. Man muss sich vorstellen, die haben das vorher gar nicht erwähnt oder realisiert, dass der Papa weiß und die Mama schwarz ist. Die haben nie gefragt, warum die Mama von Paul oder sonst wem, anders ist als ihre Mama. Kinder sehen Menschen. Wir haben ihnen dann schon erzählt, dass andere Menschen da schon einen Unterschied sehen. Und die Kinder gucken dich dann an und sagen: „Die sind ja voll dumm". Ja! Natürlich sind die voll dumm. Kinder verstehen das auch einfach gar nicht, dass es sowas gibt. Für die ist das so selbstverständlich. Dennoch müssen wir uns mit dem Thema Rassismus immer wieder auseinandersetzen. Aber diese Sozialisation ist doch erstmal was Schönes. Und bei den beiden Vorfällen zum Beispiel, da merkt man erst wie primitiv man selbst reagiert: „Wer? Wann? Wo? Wie?". Und die Kids sind für sich einfach weitergegangen. Und haben gewusst, dass das so unfassbar dumm ist, dass es nicht wert ist darauf zu reagieren.

Wir müssen von diesen ernsten Themen zum Ende hin nochmal kurz auf dein Konzert in Trier kommen. Im Pressetext heißt es, dass du mit einem Streicher-Quintett Altes und Neues" spielst. Für dich ist es ja, wie du selbst sagst, gar nicht so besonders, musikalisch auch mal zu experimentieren und die Linie zu verlassen. Was erwartet uns denn am Samstag?

Das ist ein so krasses Projekt. Das fordert mich musikalisch unglaublich. Das ist hart, weil man keinen Schlagzeuger oder Pianisten hat, der ein klares Timing setzt und durchlaufen lässt. Ich bin ja Schlagzeuger. Und für mich ist das total wichtig, dass ich ein inneres Metrum habe, zu dem ich spiele. Hier ist es so, dass die Streicher vom klaren Vierteltakt in irgendwelche triolischen halben Noten verfallen und du denkst immer, dass du voll daneben bist. Und am Ende, wo dann der komplizierte Streicher-Satz kommt (singt vor), da kommst du genau auf den Punkt raus wo du den Refrain startest. Krass. Man könnte jetzt also erstmal ein bisschen Angst bekommen. Wir haben das aber jetzt schon ein paar Mal gemacht. Und bisher war es im Publikum immer so, dass ich hinterher Leute getroffen habe, die gesagt haben, dass sie richtig heulen mussten. Und wenn ich gefragt habe, bei welchem Song genau, dann war die Antwort oft: „Von Anfang bis Ende". (lacht). Ich frage mich dann immer, ob es so schlimm war… (lacht). Ich dachte eigentlich immer, dass niemand so viel mit Klassik anfangen kann, aber schau dir doch mal die Hollywood-Filme an. Da fangen wir alle an zu flennen, wenn bei Titanic die Streicher einsetzen. Und jeder checkt, dass Klassik nicht nur verschrobenes Kopf-Zeug ist, sondern reine Emotion. Ich kann nur sagen, dass jeder die Chance nutzen sollte, sich das anzuschauen. Ich bin selbst Fan davon.

Also Taschentücher mitnehmen am Samstag?

(lacht) Auf jeden Fall. Aber es wird auch viel gelacht auf der Bühne, wir haben auch viel Spaß. Dadurch, dass da keine fette PA steht, dadurch ist es schon relativ still im Saal. Das ist auch eine krasse Erfahrung. Die Zuschauer hören auch jeden Spruch, den wir auf der Bühne reißen.

​Vielen Dank für das Gespräch!

 

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