Interviews
31.08.2016 Vincenzo Sarnelli Simon Engelbert/PHOTOGROOVE
Sven Lauer von Jupiter Jones

"Immer weiter machen"

​Seit zwei Jahren ist Sven Lauer nun neuer Sänger bei Jupiter Jones. Im Vorfeld ihres Benefiz-Konzerts beim Volkspicknick des Roten Kreuzes auf dem Gut Avelsbach am Sonntag, den 04. September 2016, sprachen wir mit ihm über Rückenwind, Gegenwind und good old Trier. 

 
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hunderttausend.de: Sven, sag mal bist du eigentlich ein Picknicker? 

Sven Lauer: Hier in Hamburg gibt es so eine Ecke, die heißt Dove-Elbe. Da gehen so Holzstege ins Wasser. Und da sind wir relativ oft mit der Familie. Also an schönen Sommertagen sind wir Picknick-Freunde. 

Ihr tretet im Rahmen des Volkspicknick beim DRK auf dem Gut Avelsbach in Trier auf. Trier ist für Jupiter Jones eine sehr wichtige Stadt in ihrer Geschichte. 

Auf jeden Fall (lacht). 

Wie ist es denn für euch nach Trier, also fast in die Heimat, zu kommen? Ist das ein besonderes Gefühl oder alles so wie immer?

Heimat ist immer was Besonderes. Einfach weil alte Weggefährten oder die jeweiligen Familien kommen. Wenn wir in der Heimat sind, speziell in Prüm, wo wir ja auch schon zwei mal gespielt haben, bin ich persönlich immer aufgeregter als sonst (lacht). Und mit dem Exhaus verbinde ich natürlich ein Stück weit meine Jugend. Trier war die nächstgrößere Stadt, in die sich auch mal ein paar Bands verirrt haben. Ich habe da zum Beispiel die Manic Street Preachers und jede Menge andere Gruppen gesehn. Wir sind immer von der Eifel bis nach Trier getrampt. 

Gibts da auch ne besondere Anekdote?

Oh ja, Ich kann mich noch sehr gut an ein Konzert erinnern. Da wollte ich mit Sascha (Gitarrist Jupiter Jones - Anmk. d. Red.) zu einem Dimple Minds Konzert. Wir hatten aber keine Eintrittskarte und nicht wirklich Kohle dafür. Wir haben also kurzerhand die Gitarre mitgenommen und uns in die Einkaufsstraße gestellt und gespielt, um Geld zusammen zu kriegen. Das Geld reichte am Ende aber leider nicht für zwei Karten. Dann kam so eine Gruppe Jugendliche vorbei, mit der wir ins Gespräch kamen. Die waren zufälligerweise auch auf dem Weg zu dem Konzert und hatten eine Karte über. Die haben uns dann einfach mitgenommen. Wir haben dann noch die eine Karte gekauft und Bier vom Restgeld (lacht). 

Eure Platte „Brüllende Fahnen“, mit der ihr grade unterwegs seid, wurde ja durchaus auch kritisch betrachtet. Was mich persönlich überrascht hat, war, dass viele Fans auch den Sänger-Wechsel von Nicholas Müller zu dir thematisiert haben, obwohl du ja zum Zeitpunkt der Album-Veröffentlichung bereits seit zwei Jahren Frontmann warst. Wie hast du dich gefühlt, als du die Kontroversen mitbekommen hast?

Ehrlich gesagt habe ich damit gerechnet. Wir waren eher überrascht, dass es in den zwei Jahren davor, in denen wir viel auf Tour waren, so positiv aufgenommen worden ist. Ein Sängerwechsel ist einfach eine extrem sensible Sache. Es gibt nicht viele Beispiele wo sowas funktioniert. Es war somit klar, dass nochmal Gegenwind kommt, wenn die neue Platte rauskommt. Denn Sängerwechsel ist ja die eine Sache, wenn dann noch ein Soundwechsel dazu kommt, dann wird es um so schwieriger. Auch da war uns völlig klar, dass das Album polarisieren wird. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass in Deutschland solche Veränderungen wesentlich kritischer gesehen werden, als zum Beispiel in den USA oder Großbritannien, wo man sich eher freut, wenn sich eine Band mal was traut. Ich finde das eher schade. Bei mir beobachte ich eher, dass ich offener für neue Musik werde, je älter ich werde. Ich begrüße es, wenn mich eine Band überrascht. Auch wenn ich das dann im ersten Moment vielleicht nicht mag, wird es aber grundsätzlich nie langweilig. Und das mochte ich auch an Jupiter Jones schon immer, dass diese Band sich mit jedem Album weiter entwickelt hat und Dinge anders gemacht hat. Und Gegenwind gab es dazu auch schon immer. Ich kann mich an Rezensionen zum dritten Album „Holiday in Katatonia“ erinnern, wo in der Visions stand: „Nicholas Müller klingt wie eine Mischung aus Pur und den Onkelz“. Wo ich damals schon dachte: „Leute, habt ihr Tomaten auf den Ohren?" Aber so ist das. Wenn du dich in die Öffentlichkeit begibst, machst du dich halt nackt und da darf jeder sagen, was er will. Grade in den sozialen Netzwerken. Insofern haben wir mit diesen Diskussionen gerechnet. Wenn man die Sache in der Rückschau betrachtet, ist es ja auch so, dass viele Fans der ersten Stunde mit den poppigeren Sachen in der jüngeren Vergangenheit weniger anfangen konnten. Dafür kam dann der Mainstream dazu, gerade nach "Still". Und die haben den Sängerwechsel noch mitgemacht, weil wir mit „Plötzlich Hält Die Welt An“ ja einen sehr poppigen Song am Start hatten. Damit haben wir sogar den zweiten Platz beim Bundesvision Songcontest gemacht, womit ja keiner von uns gerechnet hat. Wenn du dann aber eine härtere Platte machst, dann gewinnst du einerseits die alten Fans nicht wieder zurück, weil die dich in eine andere Ecke gestellt haben und dem Mainstream ist es dann zu hart. Aber am Ende des Tages musst du das machen, wofür du brennst, was deine Leidenschaft ist. Es gibt genug aalglatten Pop da draußen. 

Du sagst, man muss das tun, wofür man brennt. Das ist ja auch eine sehr gute Einstellung. Ihr habt es euch mit diesem Soundwechsel aber vermutlich auch eher schwerer gemacht, oder? War das eine bewusste Entscheidung, auch um sich von dem was vorher war abzugrenzen?

Nichts von alledem. Wir sind überhaupt nicht mit Kalkül da ran gegangen. Wir haben uns nicht hingesetzt und überlegt, wen wir erreichen wollen, was unsere Zielgruppe ist und wie wir uns am Besten aus der Affäre ziehen. Das hat nicht statt gefunden. Sascha war schon immer der Hauptverantwortliche für die musikalische Seite beim Song schreiben. Er ist also ein dreiviertel Jahr jeden Morgen von 9.00 Uhr an ins Studio gefahren. Und da gibt es Wochen, da geht man fünf mal abends nach Hause obwohl nicht wirklich was rum gekommen ist und dann gibt es Tage, an denen bricht etwas auf und es passieren Dinge und Ideen. Die ersten Demos, die wir hatten, waren so typisch Jupiter Jones von der „Das Gegenteil Von Allem“-Platte. Und dann hat Sascha irgendwann Abends mal Demos in die Dropbox gelegt, ich glaube das war das Gitarren-Lick von „Dann greif ich an“, da habe ich ihn sofort angerufen: „Alter, was ist denn bei dir passiert? Das ist ja gar nicht deine Art Songs zu schreiben“. Und er meinte: „Ja, ich gehe ja jeden morgen ins Büro und höre auf dem Weg total viel Arctic Monkeys und so“. Das war also anscheinend der richtige Weg, um musikalisch weiter zu kommen. So hat sich das dann Stück für Stück entwickelt auf der musikalischen Seite. Und dann kam die Situation insgesamt hinzu, also das, was der Band passiert ist und sich dort all die Jahre aufgestaut hat, aber auch die politische Lage in der Welt, die uns sehr viel beschäftigt hat. Griechenland- und Flüchtlings-Krise und diese ganzen Weltuntergangs-Szenarien. Das hat also auch Einfluss musikalisch und vor allem textlich genommen. Ich denke, ich kann sagen, dass das eine der politischsten Platten von Jupiter Jones geworden ist. Deshalb sind auf dem Album auch Songs wie „Ein bisschen Paranoia“ oder „Alle Türken heißen Ali“ drauf. Es war also null Kalkül, sondern es hat sich so entwickelt in eine Richtung, die wir alle gut fanden und finden. 

Angelehnt an eure aktuelle Single „Rückenwind/Gegenwind“: Wie fühlt es sich für dich an Sänger von Jupiter Jones zu sein? Eher Rückenwind oder eher Gegenwind?

Unterm Strich, auf jeden Fall, Rückenwind. Dazu muss man aber eine Sache sagen: Es ist der Band ein großes inneres Anliegen, dass das Miteinander auf Freundschaft basiert. Das bedeutet auch, dass man in der Lage sein muss viel Kritik einzustecken und viel an sich zu arbeiten. Ich sage mal so: Ich bin im Nachhinein froh, dass ich vor zwei Jahren nicht gewusst habe, was da auf mich zukommt. Zum Einen gesanglich. Ich habe zwar vorher 25 Jahren Musik gemacht, aber in einer ganz anderen Liga, aber da zumindest mit dem Gefühl, dass man weiß, was man kann. Um dann in dieser Band zu erfahren, was man alles nicht kann. Dazu muss man bereit sein. Das hat auch durchaus weh getan. Ich bin zum Beispiel ein bis zweimal die Woche zu einem Hip-Hop-Gesangslehrer gegangen oder ich musste feststellen, dass die Texte, die ich bis dahin geschrieben hatte, noch nicht so ausgereift waren, wie es auf dem Level benötigt wird. Da kam es dann durchaus dazu, dass man tagsüber etwas mit dem Lehrer ausgearbeitet hatte und man Abends zu hören kriegte: "Ja, das ist schon ganz nett, aber bitte löschen und nochmal von vorne." Da muss man schon ein bisschen masochistisch veranlagt sein (lacht). Es gibt einen schönen Spruch von Sokrates: „Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.“ Und da steckt verdammt viel Wahrheit drin. Das ganze Leben ist ein Prozess und wenn du denkst, du bist fertig, dann kannst du dich begraben gehen. Auf die Band bezogen, war das immer so und wird es immer so sein, dass es dort auch viel Reibung gibt. Weil man sich nicht leichtfertig mit Dingen zufrieden gibt. Vor allem dann nicht, wenn einer das Gefühl hat, dass die Dinge noch nicht da sind, wo sie sein könnten. Das bedeutet, dass man Kritik üben kann, aber auch, dass man kritikfähig sein muss. Es ist ja so. Ich hatte in meiner Vergangenheit dreimal so viele Bands wie Sascha, bin aber in keiner einzigen so an meine Grenzen gekommen wie in dieser. Im positiven Sinne. Ich hab zum Beispiel das Gefühl, dass ich auf dieser Platte endlich meine Stimme gefunden habe. Es ist viel lässiger geworden als früher. Diese Lässigkeit war harte Arbeit und ich bin nur dahin gekommen, weil die Jungs gesagt haben, dass ich das viel besser kann (lacht). 


Man könnte im Umkehrschluss also auch sagen, dass sie irgendwas in dir gesehen haben, was zu der Band gepasst hat. Und das auch noch trotz des ganzen Gegenwinds, der auch von außen an euch rangetragen wurde. Ich habe euch jetzt schon zwei oder dreimal live gesehen. Und ich bin wirklich froh mit welcher Leichtigkeit und Lässigkeit ihr eure Shows spielt. Es wird viel gelacht auf der Bühne und es macht einfach richtig Spaß euch zuzuschauen. Würdest du sagen, dass dieses Live-Erlebnis euch nochmal ein bisschen mehr flasht, als ein Album zu machen? Denn grade diese Leichtigkeit schien euch auf der neuen Platte etwas zu fehlen. 

Ich war immer jemand, der lieber live gespielt hat, als ein Album aufzunehmen. Ich könnte mich zum Beispiel nicht wie Sascha neun Monate alleine in diesen kreativen Prozess begeben. Ich mag diesen Moment, wenn jeder seinen Teil dazu gibt und dadurch eine Dynamik entsteht. Das kannst du alleine mit deiner Gitarre und dem Rechner nicht so erzeugen. Wenn du mit drei, vier Leuten in einem Raum steht und so ein tiefes Gefühl in dir aufkommt. Das geht einfach nur, wenn du zusammen musizierst. Deshalb mag ich das Live-Gefühl so gerne. Es ist in diesen zwei Jahren nicht ein Auftritt wie der andere gewesen. Irgendwas ist immer anders. Und es sind noch viele weitere Faktoren, die eine Rolle spielen. Von 'wie hat man Nachts geschlafen', über 'wie ist das Wetter', oder zu welcher Tageszeit spielt man, bis hin zu 'wie ist das Publikum drauf'. Das hat alles einen Einfluss auf die Show. Und das kann man nicht immer steuern. Das gibt einfach noch mal einen besonderen Kick. Offenbar gibt es Bands, bei denen ist die Platte überragend und dafür ist man vom Live-Konzert enttäuscht, weil man mehr erwartet hätte. Und Bands, bei denen man vielleicht die Platte nicht so gut findet, aber dafür ist das Live-Erlebnis stark. Und dann gibt es sicher Bands, bei denen man sowohl wenn man die Platte hört, als auch wenn man ein Konzert besucht, mit offenem Mund da steht. Das sind aber, glaube ich, nicht so viele (lacht). 

Letzte Frage: In einem Video, dass ihr auf Facebook geteilt habt, hat der Sascha in einem Nebensatz fallen lassen, dass er wieder im Studio ist. Du hast ja eben erzählt, wie er das macht. Das heißt also ihr arbeitet an neuem Material? Ihr seid ja im Dezember erstmal noch mit dem aktuellen Album auf Tour, unter anderem in Koblenz am 28. November 2016. Aber erzähl uns doch mal was dazu, was da auf euch und uns zukommen könnte….

Ich weiß genau so viel wie du. Ich weiß, dass er seit zwei, drei Wochen wieder ins Studio geht. Ich habe aber noch kein einziges Demo gehört. Das einzige, was ich mehr weiß als du, ist, was er derzeit auf dem Ipod für Musik hört. Aber das werde ich dir natürlich nicht verraten (lacht). 

Verdammt, das wäre nämlich meine nächste Frage gewesen…

Und dann hört er am Ende doch wieder was anderes und die Platte klingt doch ganz anders. Nene, du (lacht). Ich weiß aber, dass er wieder richtig Bock hat. Allein das ist viel wert, denn natürlich ist das schwer, wenn du merkst, das bestimmte Dinge nicht so funktionieren, wie du dir das erhofft hast. Man überlegt dann, was man falsch gemacht hat und durchlebt echt viele Höhen und Tiefen. Sascha hat mal gesagt, dass die meisten anderen Bands, mit dem was diese in ihrer Geschichte alles erlebt hat, längst aufgegeben hätten. Aber irgendwas hat Jupiter Jones immer zusammen gehalten. Weil alle noch so viel Bock drauf hatten. Das geht auch mir so. Die Jungs haben natürlich viel mehr erlebt und durchlebt. Diese Erfahrung fehlte mir bisher. Und jetzt haben wir diesen Gegenwind gespürt nach der Veröffentlichung. Ich war richtig down und geknickt deswegen. Da hat Sascha zu mir gesagt: „Hey, es gibt ein schönes Zitat von Lemmy von Mötorhead. Der ist mal gefragt worden, wie sie es denn geschafft haben so lange als Band zusammen zu bleiben. Und Lemmy hat gesagt: Wir haben einfach immer weiter gemacht“. Und das ist es. Da steckt so viel Lebensweisheit drin. Ich war zwei Jahre überrascht wie gut es läuft, dann war ich überrascht wie schlecht es läuft. Und ja, das gehört einfach dazu. Weiter machen. Um an dieser Stelle Nicholas zu zitieren: Kopf hoch und Arsch in den Sattel.

Danke Sven, für das offene Interview. Wir freuen uns auf den 04. September. 

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