Interviews
30.07.2015 Vincenzo Sarnelli  
Antilopen Gang

"Große Geschütze reichen nicht"

​"Love gets dangerous" heißt das Open Air im Exhaus, wo unter anderem die Antilopen Gang am 12. September 2015 auftritt. Bekannt sind sie für ihre durchaus provokanten Texte, aber auch für ihre politische Ader, die sich nicht nur in diesen Texten niederschlägt. Wir sprachen mit Rapper Danger Dan über die Antilopen Gang als politische Kombo, über die Hassliebe zur ebenfalls zum Line-Up gehörenden Band Feine Sahne Fischfilet und darüber, warum der Auftritt der Antilopen für Trier durchaus gefährlich werden könnte. 

 
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hunderttausend.de: Danger Dan, im März hast Du bei den Kollegen von 1Live ein sehr interessantes Essay geschrieben. Darin ​kommt das Zitat "Ihr hättet Georg Büchner doch an die Polizei ausgeliefert" vor. Erzähl uns mal bitte, was hat es damit auf sich?

Danger Dan: Ich hab zu der Zeit als Pianist im Stadttheater gearbeitet und bin so auch der Theaterwelt ei​n bisschen näher gekommen. Und bei einer irgendeiner Theaterpremiere gab es Publikum, wo man sich nicht sicher war, wo jetzt das billigere Schauspiel stattfindet, auf der Bühne oder im Publikum. Das waren alles sehr merkwürdige Leute, die Sekt tranken und sich über politische Themen unterhielten. Und ich merkte, dass ich total fehl am Platz bin. Das war eine Welt, in die ich gar nicht reingehöre. Manchmal entwickele ich in solchen Situationen Oppositionszwänge, die ich dann auch allen zeigen muss. Und in diesem speziellen Fall hab ich dann sehr viel Wodka getrunken und angefangen zu pöbeln, damit ich endlich rausfliege und der Abend endet. Aber es hat sehr lange gedauert, bis ich gebeten wurde, den Saal zu verlassen. Und auf dem Weg raus habe ich dann wohl auch diesen Satz gesagt. 

In diesem Essay ging es auch grob um die Frage, wieviel Verantwortung Musiker übernehmen können und ob nicht das stetige Streben danach, tiefsinnige Dinge zu machen, nicht oft zu noch mehr Oberflächlichkeit führt. Ist das manchmal so ein Gefühl, dass man Dinge und Wünsche in Euch als Antilopen Gang hineinprojiziert, die Ihr gar nicht erfüllen könnt oder wollt?

Das ist definitiv so. Einerseits fühlen wir uns manchmal sehr missverstanden, weil vor allem der Feuilleton denkt, wir seien eine politische Gruppe. Das stimmt aber nicht. In erster Linie sind wir eine Rap-Crew - wir haben uns nie irgendwo hingesetzt und gesagt, das ist unsere politische Agenda und die möchten wir abarbeiten und dafür nehmen wir uns das Medium Rap. Auf der anderen Seite gehen die Leute immer mit so einem sozialpädagogischen Anspruch an den Hip-Hop heran und meinen, man hätte die Aufgabe, irgendjemanden zu erziehen oder etwas beizubringen, zum Beispiel auch politische Inhalte. Wo dieser Wunsch herkommt, weiß ich nicht. Der Schlager-Musik würde man auch nie sagen, dass sie die Leute jetzt bilden soll. Rap kann auch einfach nur lustig sein und Spaß machen. Zu allem Überfluss werden wir oft dargestellt als ein Gegenentwurf zu irgendwelchen Gangster-Rappern die ja ach so böse seien. In dieser Rolle fühlen wir uns auch nicht wohl. Ich glaube, für Leute, die Hip-Hop in keinster Weise verstehen und sich hinstellen und irgendwelche Rap-Klischees zitieren, jetzt auch noch als Gegenentwurf und als reaktionär zu gelten oder gar instrumentalisiert zu werden, dass wollen wir gar nicht. Und da habe ich mir in diesem Essay auch ein bisschen Luft gemacht. 

Das ist ja schon etwas Missverständlich. Einerseits seid ihr ​​keine politische Band. Andererseits tretet Ihr in Freital für Geflüchtete auf? Projiziert Ihr damit das Image des Politischen nicht auch selbst auf Euch, von dem Ihr dann sagt, dass der Feuilleton Euch diesen Stempel nicht aufdrücken soll?

(lacht) Wir machen es dem Feuilleton vielleicht damit etwas leichter, weil es recht wenige Hip-Hop-Crews gibt, die solche Aktionen machen und sich klar positionieren. Allerdings ist das auch nur eine Facette von dem, was wir machen. Wer uns schon länger beobachtet, der weiß, dass wir alle auch aus einem "Polit-Sumpf" kommen und lange versucht haben, da auch wieder raus zu kommen und in anderen Umgebungen und Kontexten wahrgenommen zu werden. Weil wir selber uns nie selbst bloß als Polit-Rapper verstanden haben. Trotz allem sind wir politische Menschen und wenn wir uns zusammensetzen und überlegen, worüber wir schreiben und uns beschäftigen politische Themen, dann wird der Text politisch. Wenn wir jetzt aber mal ein Liebeslied machen, behauptet ja auch keiner, dass wir jetzt die Liebes-Rapper sind und im Auftrag der Liebe unterwegs seien, sondern das wird einfach so hingenommen. Ich hab kein Problem damit, als politischer Mensch wahrgenommen zu werden, aber ich finde es schade, darauf reduziert zu werden. 

Euer Album heißt "Aversion". Ein Track heißt "Anti Alles Aktion", so hieß ja auch mal Eure Band. Was ist denn eigentlich los mit vielen Rappern. "Anti Alles für immer" singt ja auch z.B. Casper. Ist alles so aussichtslos? 

Ich denke, dass diese Aversion oder das "Alles-ist scheiße"-Gefühl gar nicht entstehen würde, wenn es nicht auch irgendwo eine abstrakte Utopie im Hinterkopf versteckt gäbe, dass es auch schöner sein könnte. Denn wäre alles hinnehmbar und man wüsste eh, die Welt bleibt scheiße, dann bräuchte man sich auch nicht so aufregen. Ich vermute, dass die Probleme die wir haben und die Probleme, die Casper hat, schon eine so große Suppe sind, dass es ganz schwierig ist, einzelne Teilbereiche daraus zu ziehen und genau zu benennen. Da ist es viel einfacher, zu sagen: "Unterm Strich ist es scheiße". (lacht)

In einem Interview mit dem Musikexpress hast Du mal gesagt: "Und trotzdem wurde das primär von politischen Leuten oder politischen Medien wahrgenommen. Bevor in der Juice über mich auch nur am Rande geschrieben wurde, gab es einen doppelseitigen Artikel in der Jüdischen Allgemeinen." Warum ist das so? Tut sich die Szene mit politischen Inhalten schwer? Oder liegt es daran, dass Ihr nicht in Schubladen drin seid und grade das interessant ist für Medien außerhalb der Szene? 

(überlegt). Ich glaube, die Hip-Hop-Szene hat sich in dieser Hinsicht etwas gewandelt. Plötzlich ist es ja so, dass fast jeder Rapper ein antifaschistisches Lied auf seinem Album hat und viele Hip-Hopper beginnen, sich neu zu positionieren. Ein gutes Beispiel ist da das neue K.I.Z. Album, was ein sehr politisches Album geworden ist. Und auch Bazz Sultan Hengst ist ein, vielleicht etwas misslungenes, Beispiel. Er hat sich im Nachhinein distanziert von homophoben Aussagen, die er in der Vergangenheit getätigt hat. Ich denke, es ist für Hip-Hop-Medien auch nicht einfach, wenn sie es mit einer politischen Gruppe zu tun bekommen, die sagt, bei uns gibt es keinen Platz für Sexismus und Homophobie. Dann muss man deren Album besprechen und eine Seite weiter besprechen sie ein Album mit homophoben und sexistischen Inhalten. Das könnten so Hürden gewesen sein, warum Hip-Hop-Medien sich eine Zeit lang einfach schwer getan haben. Ich kann das zwar verstehen, hab aber trotzdem in jedem meiner Lieder auf Begleit-CDs in der Juice auch einen Diss gegen die Juice-Redaktion rein gepackt. (lacht)

Ihr pendelt in euren Texten oft zwischen Ironie und Ernst. Ist das manchmal auch eine Gefahr, dass man falsch verstanden wird? Sitzt Ihr dann beim Texten da und fragt Euch, ob Ihr das so bringen könnt? Oder sagt Ihr: "Hammerzeile. Uns egal. Wir wissen, was gemeint ist und das zählt"?

Wir geben uns Mühe, uns da nicht zu stark selbst zu zensieren. Aber wir haben uns auch gegenseitig schon vor großen Blamagen gerettet. Also es gab auch Momente, wo der Eine zum Anderen gesagt hat: "Jetzt blamierst du dich aber." Da mussten wir uns gegenseitig mal die Notbremse ziehen. 

Du küsst den Sänger von Feine Sahne Fischfilet, Jan "Monchi" Gorkow, im Lied "Verliebt". Ihr habt auch im Rahmen einer Debatte um das Plattencover des Rap-Kollegen Bazz Sultan Hengst, dass küssende Männer zeigt und viele homophobe Reaktionen ausgelöst hat, ein Bild veröffentlicht, wie Ihr einen Kuss andeutet. Immer mal wieder gibt es homophobe Auswüchse in der Musik, auch z.B. im Reggae. Ist das eine Sache, die Euch trifft, wo Ihr auch an der Musik im Allgemeinen und besonders an der Rap-Szene zweifelt? Oder hat das mit der Szene gar nix zu tun?

Nun, das wird schon was mit der Szene zu tun haben. Ich glaube aber, man darf die Szene da nicht rauslösen aus der Gesamtgesellschaft - sie findet ja nicht im luftleeren Raum statt. Wir leben in einem Land, in dem die Bundeskanzlerin aus einem Bauchgefühl heraus sagt: "In homosexuellen Beziehungen werden nicht die selben Werte gelebt wie in heterosexuellen Beziehungen." Und die Ehe jetzt dafür zu öffnen, würde sie nicht sehen. Also selbst die Repräsentantin dieses Landes ist klar homophob und das auch noch aus einem Bauchgefühl heraus. Dass dann in diesem Land auch Jugendkulturen homophob sind, ist dann nicht verwunderlich. In der Hip-Hop-Szene ist nochmal interessant, dass es eine stark Männer-dominierte Szene ist, die frauenfeindlich ist und wo es seltsame Ideen von Männlichkeit gibt. Zu dieser Idee gehört halt Homosexualität oder Zärtlichkeit unter Männern nicht dazu. Da machen viele Rapper auch keinen Hehl daraus. 

Monchi trägt im Video eine Polizei-Uniform. Wie viel Überredungskunst musstet Ihr anwenden, damit er die anzieht?

Gar keine. Er hat sich sehr wohl gefühlt und sich auch selbst fotografiert. In seinen Blicken habe ich auch gesehen, dass er kurz darüber nachgedacht hat, ob er nicht den falschen Weg gewählt hat. Ich glaube, von Herzen her wäre Monchi gerne Polizist geworden. Und ist wahrscheinlich durch die Eignungsprüfung gefallen. Insgesamt scheinen ihn Uniformen sehr anzuziehen. ​​

Wie ist es, wenn Feine Sahne und Ihr zusammenkommt? Ist es so, dass Ihr Euch freundschaftlich gegenüber steht, oder ist das eine politische Verbindung, die da entstanden ist? Wie muss man sich das als Fan vorstellen, wenn ihr euch backstage trefft? Immerhin bist Du mit Monchi ja schon an "der ersten Base", dem Kuss, angelangt. 

Tatsächlich ist das eine Art Hassliebe. Feine Sahne selbst sind auch in zwei Fraktionen aufgesplittet: Monchi und der Rest der Band. Niemand der anderen will Monchi bei sich haben. Im Normalfall chillt er dann mit uns oder mit jemand Anderem. Die anderen Bandmitglieder haben keine Lust auf diesen Mann, was vielleicht damit zusammen hängt, dass er ein großer Schnapsteufel ist. Ein schrecklicher Verführer. Das ist eine brisante Mischung. Wenn wir zusammentreffen, eskaliert es zumeist auf besondere Weise. Unsere Booking-Agentur hat deshalb vor Kurzem einen Brief an den Veranstalter eines Festivals geschrieben, wo wir das letzte Mal zusammen gespielt haben, dass man doch darauf achten solle, dass Monchi uns nicht wieder so abfüllt. Allerdings kannten er und der Veranstalter sich, haben sich ins Fäustchen gelacht und uns bei unserer Ankunft mit einer Flasche Rum am Tourbus abgeholt (lacht). Das Ganze endete im wahrscheinlich desaströsesten Konzert, was wir je gespielt haben. Ich habe nach wie vor Prellungen und Blutergüsse an diversen Körperstellen. Das war auch nicht das erste Mal, dass es eskalierte. Bei Rock im Park haben Feine Sahne unseren Backstageraum zerlegt. Bei Rock am Ring sind Monchi und ich sogar rausgeflogen. Als wir das letzte Mal in Rostock gespielt haben, kann sich niemand mehr an den Rest des Abends erinnern. Es ist also jedes Mal ein Erlebnis und es steht immer offen, ob wir überhaupt heil nach Hause kommen oder im Polizei-Gewahrsam landen.

Also bedeutet das für Trier, dass wir die großen Geschütze auffahren müssen, damit alles stehen bleibt.

Ich vermute, dass auch große Geschütze nicht reichen werden, um unsere Zerstörungsgewalt einzudämmen. Helfen würde ein Inlandseinsatz der deutschen Bundeswehr, aber ich glaube, dass das juristisch einfach noch nicht möglich ist. Deshalb kann es sein, dass dieses Konzert das Weiterbestehen der Bundesrepublik Deutschland doch ernsthaft gefährdet (lacht). 

Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch.​​​​ 

​Foto: Thomas Schermer​

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