Interviews
27.08.2016 Vincenzo Sarnelli Veranstalter
Gentleman im Interview

Was Musik magisch macht

​Zusammen mit Ky-Mani Marley, einem Sohn vom großen Reggae-Musiker Bob Marley, hat Tilmann Otto, alias Gentleman, ein Album namens "Conversations", also "Gespräche", aufgenommen. Im Vorfeld zu seinem Konzert in Luxemburg im den Atelier am 02. September 2016 haben wir uns mit dem Kölner über die Platte, das Thema Vertrauen und den FC unterhalten. 

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hunderttausend.de: Tilmann, Du hast zusammen mit Ky-Mani Marley eine neue Platte aufgenommen. „Conversations" heißt das Album. Erzähl uns doch mal, wie das zustande gekommen ist.

Tilmann Otto: Zunächst sei gesagt, dass es nicht funktioniert, gemeinsam ein Album aufzunehmen, wenn man nicht einen gewissen Vibe zusammen hat. Dass man sich auf der selben Frequenz trifft, den selben Humor teilt, man sich kennt und vertraut ist Voraussetzung dafür. Ein ganzes Album zusammen zu machen ist was sehr intimes. Das ist was völlig anderes als einen gemeinsamen Song aufzunehmen. Es ist sehr aufwendig und man verbringt viel Zeit miteinander. Bei Ky-Mani und mir hat sich so eine Art Leichtigkeit eingeschlichen und das Ganze ist auf eine sehr gesunde Art und Weise entstanden. Ich finde, das hört man auch. Wir haben sowohl inhaltlich als auch musikalisch sehr viele Parallelen. Wir ziehen da wirklich an einem Strang. Es gab so gut wie keine Meinungsverschiedenheiten.

Wie habt ihr euch kennen gelernt?

Wir kennen uns jetzt schon länger. Zum ersten Mal sind wir uns 2005 auf einem Festival in Frankreich begegnet. Wir haben uns dann immer wieder auf dem ganzen Erdball getroffen. Wir mochten uns auf Anhieb und haben immer sehr gute Gespräche geführt. Irgendwann rief er mich an, um mit mir und Matisyahu einen Song für sein Album zu machen. Danach hab ich ihn zu meinem MTV-Unplugged Projekt eingeladen. Und dann sind wir auch zusammen getourt und haben noch einen Song zusammen gemacht. Es gab also drei Songs und das Feedback der Leute war außerordentlich positiv. Viele haben gesagt, dass sich unsere Stimmen gut ergänzen und wir auch auf der Bühne harmonieren. Das ist alles nicht so selbstverständlich und man findet das nicht wie Sand am Meer. Irgendwann habe ich ihm ein Frohes Neues Jahr gewünscht und in der Antwort-SMS stand drin: „Hey, let's do an album together". Ich hätte mich das nicht getraut zu fragen, glaub ich.

Wie ist das Album dann letztendlich entstanden?

Wir waren viel in Miami bei ihm und auch bei mir in Köln im Studio. Wir haben ein Team zusammengestellt, das an dem Album zusammen gearbeitet hat. Es war eine unglaublich intensive Zeit, in der viele tolle Sachen entstanden sind.

Du hast sehr großes Vertrauen aufbringen müssen und und aufgebracht. Allgemein gefragt: Ist das Musikbusiness eher unpersönlicher? Bist du eher ein Mensch, der seine klare Basis hat oder nutzt du die Zeit, grade wenn du in der ganzen Welt auf Tour bist, um auch wieder neue Menschen kennen zu lernen?

Sowohl als auch. Ich glaube, dass ich immer offen für neue Menschen und Inspirationen bin. Das ist ja auch wichtig, um sich selbst nicht zu wiederholen. Ich vertraue aber auch auf alte Weggefährten, die man lange kennt, die "reliable" sind und meine Sprache sprechen. Als Produzent - ich hab das Album ja zusammen mit Clayton zum größten Teil produziert - muss ich wissen, welche Musiker für welchen Song in Frage kommen. Und dann schaut man in sein Telefonbuch und weiß: „Jetzt muss Dean Fraser, genau diese Horn-Line einspielen". Und gleichzeitig aber auch offen zu sein, wenn man im Studio in Miami sitzt und Musiker trifft, die man nicht kennt. Die spielen dann ein Gitarren-Riff und man denkt nur: „Wow, das ist genau das, was wir brauchen. Wie heißt denn du? Kannst du uns das einspielen?". Vertrauen ist auf jeden Fall etwas, wo man auch auf sein eigenes Gefühl hören muss. Ich denke aber auch, dass gute Songs gar nicht erst entstehen, wenn man sich nicht irgendwie auf der selben Frequenz trifft.

Das Album ist sehr emotional und berührend. Im Opener "Signs Of The Times" zum Beispiel sprecht ihr von einem Funken, der benötigt wird, damit ihr die "Firestarter" sein könnt. Es geht darum die vielen Probleme in der Welt anzusprechen und sie zu diskutieren, oder im besten Falle gar zu lösen.

Man darf in der Hinsicht die Kraft der Musik nicht unterschätzen. Ganz oft war eben die Musik dieser Funke. Und das ist unser Teil. Das ist das, was wir leisten können. Die Politiker sind im Idealfall dazu da, Probleme zu lösen und wir Musiker sind dazu da Debatten auszulösen, um Sachen anzustoßen. Was aber mit dem Funken und eigentlich mit dem ganzen Album gemeint ist: Wir beide haben derzeit das Gefühl, dass wir in einer signifikanten Zeit leben, in der die radikalen Ränder immer lauter werden und die Mitte scheint irgendwie weg zu brechen. Dabei scheint es eine schweigende Mehrheit zu geben. Es ist aber unglaublich wichtig, dass die lauter wird. Ich kann Politikverdrossenheit absolut nachvollziehen und trotzdem war es noch nie so wichtig, ob in Amerika, Europa oder Afrika, wählen zu gehen, seine demokratische Stimme zu nutzen. Der Grund dafür, dass im Moment soviel passiert, liegt auch darin, dass viele Menschen mit gesundem Menschenverstand in ihrer Komfort-Zone schweigen. Und der Spark, der Funke, kann sein, über Dinge zu reden. Ich habe schon das Gefühl, dass die Jugend und die Gesellschaft allgemein wieder politischer geworden ist, was ich gut finde. Es ist nur schade, dass es immer erst so knallen muss. Auf dem Album kommt aber auch rüber, dass wir beide nicht mehr an den Weltfrieden glauben. Wir glauben aber an eine gewisse Balance, an eine Kraft die alles zusammen hält.

Bist du an einem Punkt in deinem Leben, an dem deine Stellung als bekannter Musiker auch eine gewisse Verantwortung mit sich bringt, diese Problemlagen aufzuzeigen?

Wir sollten alle verantwortungsvoller sein mit dem was wir tun und sagen. Das ist einfach unfassbar wichtig. Natürlich erlaube ich mir auch Fehler zu machen und selbst zu suchen. Es gibt in meinem Leben, weil du ja auch danach fragst, mehr Fragen als Antworten. Aber ich finde es ja schon trostgebend, wenn man in der Musik die gleiche Frage hört, die man auch selbst hat. Dieses Teilen, dieses Gefühl nicht allein zu sein in der Angst, oder in der Hoffnung, das ist das, was Musik magisch macht.

Würdest du sagen, dass es von euren Gedanken und Fragen her das intimste Album ist, das du gemacht hast?

Das sage ich, glaube ich, bei jedem Album. Wir spielen ja beide keine Rolle. Das, was wir an Texten schreiben, sind unsere persönlichen Gedanken. Wir machen das nicht aus irgendeinem Entertainmentaspekt und schlüpfen dafür in irgendeine Rolle. Wobei ich selbst sowas auch nicht ausschließen würde, das würde einem einen ganz anderen Horizont geben. So wie Eminem das zum Beispiel macht. In verschiedene Rollen zu schlüpfen. Aber das ist bei uns nicht der Fall. Also ist es immer irgendwie biographisch und damit intim was wir schreiben. Wir entkleiden uns immer ein Stück weit.

Ein anderes Thema, was aber damit zusammen hängt. Du spielst jetzt In Luxemburg. Ein Land, das von seiner Internationalität lebt und viele Kulturen vereint. Was für eine Rolle hat Internationalität für dich und deine Musik in deiner Jugend gespielt? Wann kam der Punkt an dem du gesagt hast: Der Fühlinger See in Köln ist schön, aber das kann nicht alles gewesen sein?

Ich glaube, das kam echt mit der Entdeckung der Musik. Bob Marley hat immer gesagt: „Es gibt nur diese eine universelle Sprache und das ist die Musik." Diese Erkenntnis, egal wo du bist und wie verschieden die Kulturen auch sind, es gibt immer auch Gemeinsamkeiten. Das ist etwas, das mir Hoffnung macht. Ich weiß nicht genau, wann das kam. Ich glaube, als ich ungefähr 17, 18 Jahre alt war. Ich bin dann nach Indien geflogen, war dort ein paar Monate. Danach dann in Jamaika. Durch das Reisen hat sich mein Horizont erweitert. Das ist etwas, was ich jedem empfehlen kann.

Eine Frage muss ich dir einfach stellen, auch wenn das jetzt ein harter Sprung ist. Ich dachte ja, dass die deutsche Musiklandschaft eigentlich durch nichts mehr zu überraschen ist. Und dann machen die Beginner einen Song zusammen mit GZUZ von der 187 Straßenbande und dir, Gentleman. Wie kam es bitte dazu? Und wie war es für dich?

Ich finde es auch interessant, zu sehen, wenn Dinge manchmal funktionieren und manchmal auch nicht. Jan hat mich angerufen, sie hätten da so einen Track, bei dem ein Rapper, der GZUZ heißt, mitmacht. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht so im deutschen Hip-Hop drin und wusste erstmal gar nicht genau wer das ist. Ich hab aber, bevor ich geschaut habe was der sonst so macht, erstmal den Song gehört. Und das Ding hat mich unfassbar weggehauen. Auf Anhieb. Ich hab quasi fünf Minuten später die Hook gehabt und aufgenommen. Es hat einfach gepasst. Und es ist auch ein bisschen davon, was du sagst: Häh? Die Drei? Was ist das für eine Kombi? Ich finde das gut, wenn es wieder Songs gibt, über die die Leute diskutieren.

Letzte Frage: Wo landet denn der 1. FC Köln in der neuen Saison?

(lacht). Naja, intern haben sie ja Platz neun als Ziel ausgegeben. Jeder FC-Fan schielt natürlich jetzt nach Europa. Wenn man sich weiterentwickeln und sich verbessern will, muss das auch das Ziel sein, finde ich. Ich sage ja nicht Champions League. Letzte Saison gab es außer die Bayern kein Team, das man nicht hätte schlagen können. Wir haben auch viel Pech gehabt. Ich glaube jetzt, dass wir mit dem Neuzugang Sehrou Guirassy, der neben Modeste stürmen kann, auch noch torgefährlicher werden. Und Leo Bittencourt, der in den letzten Spielen gezeigt hat, dass er auch noch nach vorne gehen kann. Es fühlt sich alles sehr sehr gesund an. Es macht grade riesig Spaß FC-Fan zu sein. Das war jahrelang anders. (lacht). 

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