Interviews
28.05.2015 Julia Nemesheimer  
Auf ein Glas mit Karl M. Sibelius

"Theater ist wichtig, aber nicht heilig"

​​​​Das Trierer Theater steht ab August unter der Leitung eines neuen Vorstandes. Dr. Karl M. Sibelius ist gebürtiger Österreicher und hat in den vergangenen Jahren am Theater an der Rott im bayerischen Eggenfelden seine Brötchen verdient. In unserer neuen Rubrik "Auf ein Glas mit..." versuchen wir, einen Blick auf die Person Sibelius und seine Ansichten zu werfen. 

 
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​Wir treffen Sibelius im Textorium bei der Tufa. Gemeinsam mit der stellvertretenden Verwaltungsdirektorin Yvonne Mich kommt er nach einem anderen Termin bei uns an, begrüßt uns offen und räumt freimütig ein, dass er heute vielleicht ein wenig müde wirke, da er nach einem nächtlichen Einrichtungsmarathon gerade einmal drei Stunden geschlafen habe. Gemeinsam mit seinem Partner, seiner Adoptivtochter und seinem Pflegesohn bezieht er in Kürze ein Haus in Konz. ​In Wirklichkeit ist ihm davon nichts anzumerken, bewaffnet mit einem Glas halbtrockenem Wein und vorangegangenen Scherzen stellt er sich zunächst den Kurzfragen:
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hunderttausend.de: Was machen Sie morgens als Erstes? Gibt es ein Morgenritual?

Sibelius: Sit-ups.

Digital oder analog?

Beides.

Stadtbus oder Fahrrad?

Fahrrad.

Sie bleiben im Aufzug stecken - lieber mit Dr. Jekyll oder Mr Hyde?

Mit niemandem, ich gehe immer zu Fuß.
 
Wofür geben Sie zu viel Geld aus und wofür kann man nicht genug ausgeben?

Ich lade gerne ein und … (nach kurzem Zögern) fürs Theater (lacht).

Morgen geht die Welt unter - wie verbringen Sie Ihren letzten Abend?

Weinend  - nein, ich weiß es nicht.

Was gibt es dazu zu trinken? Viez oder Moselwein?

Moselwein.
  

Um zu etwas ernsthafteren Fragen zu kommen, sprechen wir Sibelius auf unser Interview mit ihm an, dass wir kurz nach Bekanntgabe seiner kommenden Intendanz mit ihm geführt haben. Damals konnte er mit Trier natürlich noch relativ wenig verbinden, inzwischen scheint sein Bild aber bereits ein wenig ausgeprägter zu sein: "Ich finde, Trier ist eine Stadt im Aufbruch. Es tut sich total viel hier. Ich empfinde es zumindest so und das mag vielleicht an mir liegen oder am neuen Oberbürgermeister, aber man spürt eine wirklich gute Energie in der Stadt. Ich hoffe, das bleibt so." 

Gerhard Weber wiederum ist ihm als Regisseur bereits bekannt. Nach der elfjährigen Ära Weber tritt er nun die neue Stelle an. Dabei hält er aber fest, dass er keine 'Altlasten' sieht, die ihm hinterlassen werden: "Er hat ja wirklich tolles Theater gemacht. Und ich gehe meinen Weg mit meinem Team, ich freu mich drauf und hab einfach einen großen Respekt vor seiner Arbeit. Aber ich bin eben ein ganz anderer Mensch und habe auch eine ganz andere Auffassung von Theater. Das ist auch das Schöne daran, dass es so viele verschiedene Theatermenschen gibt und man das nicht werten muss. Ich finde auch, dass die Kunstschaffenden akzeptieren sollen, dass es eben verschiedene Wege gibt."

Im seinem Wikipedia-Eintrag erfährt man, dass er nicht nur Schauspieler, Sänger und Regisseur ist, sondern auch Kulturmanager und Friedensforscher. Daneben ist er außerhalb seiner Arbeit am Theater auch als Dozent an Universitäten tätig. Es scheint fast, als hätte er mehr Stunden pro Tag zur Verfügung als der normale Mensch, was er folgendermaßen erklärt: "Ich habe in meinem Leben viele Tiefpunkte durchlitten, auch gesundheitlich, und da weiß man wirklich jede Sekunde, jede Minute wieder neu zu schätzen. Wenn man sich unsere westliche Gesellschaft ansieht, so jammern wir alle auf einem sehr hohen Niveau. Im Rahmen der Peace&Conflict-Studies habe ich wirklich das Elend gesehen - Kindersoldaten, vergewaltigte Frauen, traumatisierte Menschen in Krisengebieten. Das hat mir eine gewisse Demut verschafft vor Menschen, die nicht das Privileg haben, hier in Europa zu leben. Ich kann wirklich ein großartiges Leben leben - ich, als Schwuler, kann ein Kind adoptieren und mir kann keiner mehr sagen, dass das nicht geht. Ich glaube, dass wirklich fast alles geht.
Ich habe mein Leben bestimmt nicht sinnlos gelebt - allein für die Kinder. Denn bevor ich meine Tochter adoptiert habe, da hat man als Schauspieler seine Momente auf der Bühne und zu Hause ist man allein. Ich bin davon depressiv geworden und das konnte einfach nicht der Sinn von einem Leben sein. Ich habe einfach ein großes Herz und möchte diese Energie und Liebe weitergeben. Seit ich Kinder habe, bin ich viel lockerer geworden, ich bin nicht mehr so verbissen. Hier in Trier zum Beispiel finde ich es auch ganz außergewöhnlich, dass ich gewählt wurde, obwohl ich zwei Kinder habe, für die ich die Mutterrolle einnehme - von Anfang an war klar, dass sie für mich an erster Stelle stehen. Das Theater ist mir also wichtig, aber nicht heilig und ich finde es bemerkenswert, dass man das so akzeptiert und mich eben trotzdem gewählt hat."

Aber aus welchem Grund hat er sich eigentlich berufen gefühlt, sich auf diese Stelle zu bewerben? Sieht man sich die Anforderungen an, kommt einem unwillkürlich das Bild der sprichwörtlich eierlegenden Wollmilchsau in den Kopf.
"Naja, ich habe es gelesen und dachte - das bin ich (lacht). Nein, wirklich, es sind alles Bereiche, die mich interessieren. Und ich bin ja nun Mitte 30 (grinst) und habe mich auch darauf vorbereitet. Es ist einfach eine unglaubliche Herausforderung und die Menschen, die Politiker, wissen, worauf sie sich eingelassen haben. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass sie inzwischen schon fast ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekommen."

Stichwörter Finanzen und Politik, die derzeit gerade mit der Diskussion um die Frage Neubau oder Sanierung oft bemüht werden: "Ich glaube halt, bevor ich Geld ausgebe für etwas, hinter dem ich nicht 100% stehe, dann doch lieber für etwas, das ich persönlich wirklich vertreten kann. Und wenn die Lösung eben nicht Neubau heißt, sondern sich eine andere Alternative bietet, dann ist das für mich auch keine zweite Wahl. 
Bezogen auf die Politik kann ich nur sagen, dass ich total froh bin, dass ich mit dem Kulturdezernenten Eggert einen Zuständigen habe, mit dem ich auf Augenhöhe kommunizieren kann. Das ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Und mit Wolfram Leibe verbindet mich, dass wir beide in einer Aufbruchsphase stecken und vor großen Herausforderungen stehen. Ich hoffe, das schweißt uns auch zusammen. Kultur ist immer politisch, aber Kultur muss total entpolitisiert sein, das heißt, alle künstlerischen Besetzungen, Spartenleiter, Positionen dürfen nicht politisch belastet werden."

Aber wie viel Politiker steckt denn in Sibelius? "Ich hab das große Privileg, dass ich als Theatermacher keine Stimmen fangen gehen muss. Ich bin gewählt und ich muss nicht zwanghaft gefallen. Man kann mich zwar immer noch absägen, aber so ist das halt im Leben. Es mag eine reizvolle Aufgabe sein, ich habe auch Respekt vor Politikern, aber mich selbst interessiert es überhaupt nicht."

Wohingegen natürlich mit Georg Kreisler für den ersten Abend ein hochpolitischer Liedermacher ausgewählt wurde. Was genau steckt dahinter und warum ist er gleich am ersten Abend selbst auf der Bühne zu sehen?
"Georg Kreisler und seine Lieder begleiten mich bereits seit vielen Jahren. Und das Schöne ist, dass die Menschen merken sollen, dass wir eben nur Theater machen - nicht mehr und nicht weniger. Und so wird an dem Abend ein alter Schauspieler auf der Bühne sitzen, der über den neuen Intendanten und die neue Form des Theaters ablästert. Das soll eine Art Umarmung für das Publikum werden. Denn ich verstehe natürlich, dass sie Angst vor dem Neuen und der Veränderung haben. Selbst ich habe Angst und Unsicherheit und weiß nicht, ob das alles so aufgeht, wie wir uns das erhoffen. Der Abend thematisiert das nunmal und ist natürlich auch deshalb interessant, weil jeder so viel Eintritt zahlen kann, wie er möchte. Auch für meine Mitarbeiter soll er ein Zeichen sein, dass auch ich in meiner hohen Position als Generalintendant nervös bin und vor dem Auftritt zittere. Das schweißt einen auch hinter den Kulissen zusammen, schließlich stelle ich mich ja wirklich bloß."

Auch angesprochen auf die Abonnenten und deren etwaigen Rückgang bleibt Sibelius gelassen und locker: "Ich selbst bin ja auch der Verwaltungschef, dann müsste ich mit mir selbst ja auch einen Dialog führen. Ich glaube aber, das Theater, das ich hier ermögliche, ist eines, zu dem ich total stehe. Ich mache nie eine Vorstellung oder hole einen Regisseur, der einfach nur plump provoziert. Ich achte vielmehr darauf, das Theater und auch den Menschen in all seinen Facetten zu zeigen. Manchmal ist es spaßig, tut weh, ist traurig, spannend oder erotisch - aber all das muss das Theater leisten und eben dafür wird es ja auch subventioniert. Und wenn ich den Mut nicht hätte, die Abgründe und Höhen zu zeigen, dann müsste ich aus dem Theater Trier ein Musicalhaus machen. Das wiederum müssten wir dann aber nach fünf Jahren zusperren, weil allen die Musicals zum Hals raushängen. Was mich reizt, ist also Regionalität, Einzigartigkeit und Spezialität."

Ein Teil davon steckt sicherlich in der geplanten Interaktion,  die vom Trierer in der kommenden Spielzeit eingefordert wird. Und so stellt sich die Frage, ob Sibelius ein wenig Angst hat vor den Neuem teilweise doch eher skeptisch gegenüberstehenden Bewohnern dieser Stadt zu kapitulieren:  "Wir haben jetzt schon im Vorfeld unfassbar viel Aufmerksamkeit in ganz Deutschland bekommen. Man kennt jetzt das Theater Trier und das Bild ist positiv, was super ist. Kunst muss auch scheitern dürfen. Im Vergleich zu Bayern ist das hier ein Meilensprung. Trier ist einfach viel weltoffener und ich kann mich hier so bewegen, wie ich möchte. Natürlich weiß ich nicht, ob das alles klappt, aber ich hoffe, dass ich mir und vor allen Dingen auch meinen über 220 Mitarbeitern gerecht werden und eben diese auch anständig für ihre Arbeit entlohnen kann. Ich will hier einfach die Weichen stellen für ein Stadttheater der Zukunft."

Zukunftsweisend ist natürlich auch die Option, das Walzwerk als neue Spielstätte nutzen zu können. "Das Theatergebäude an sich hat natürlich für alle auch einen emotionalen Wert, es ist auch nicht der schlechteste Bau. Das Walzwerk hingegen steht für mich für eine Öffnung in neue Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig sage ich nicht, 'Walzwerk um jeden Preis', aber es lohnt sich, da Energie reinzustecken. Und ich möchte hinterher den Trierern sagen können, dass ihre Steuergelder sinnvoll eingesetzt wurden und ich glaube nicht, dass ein Neubau für 50 Millionen Euro, der auch nur ein Kompromiss ist, wirklich ratsam ist."

Man merkt Karl M. Sibelius an, dass er sich mit Feuereifer in seine neue Aufgabe stürzen wird und bereits mitten drin steckt. Seine vielfältigen Pläne und Vorhaben werden mit Sicherheit eine Menge frischen Wind durch die alten Theater-Katakomben treiben und die kommenden Jahre - in jedem Fall kulturell - spannend gestalten. 

Foto: Rupert Rieger

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