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04.05.2016 Julia Nemesheimer Privat
Alexander von Humboldt II

Raus aus dem Alltag

Der Mensch braucht seine Hobbys und Leidenschaften. Was für manch einen Fußball, Briefmarken oder Wandern sind, kann genauso gut auch die Traditionsschifffahrt sein. Im April wurden für hunderttausend.de wieder die Segel gehisst.​

 
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Vor gut sechs Monaten kam ich zum ersten Mal mit der Bark in Kontakt, die ich bisher nur aus der Werbung kannte: Damals durfte ich zehn Tage vor der Küste Norwegens​ auf der Alexander von Humboldt II mitsegeln. Der allbekannte "grüne Virus" war schnell übergesprungen, das Reisefieber erwacht und vor kurzem ergab sich die Gelegenheit, einen zweiten Törn folgen zu lassen.

Diesmal ging es in den Süden Europas: A Coruña im Norden Spaniens war der Startpunkt für die knapp einwöchige Reise. Im Hafenbecken wartete das 65,5 Meter lange Schiff mit den grünen Segeln und gelben Masten am 02. April bereits auf seine neue Crew. Der Weg führte zurück in die Heimat, in Bremerhaven wartete die Werft mit einer Generalüberholung und der Germanische Lloyd, eine Art TÜV für Schiffe. Ganz so weit sollte es für mich jedoch zunächst nicht gehen, das Zwischenziel lautete St. Malo in der Bretagne - doch bis dahin vergingen Tage auf dem Atlantik mit ihrem ganz speziellen Zauber.

Am Sonntagnachmittag ging es aus dem Hafenbecken hinaus aufs offene Meer und die Biskaya, bekannt für ihre raue See, gab schonmal einen Vorgeschmack - der Wellengang forderte seinen Tribut. Seekrankheit ist sicherlich nichts, was man seinem schlimmsten Feind wünschen würde und doch kann es jeden treffen - erstaunlicherweise hält eben dies aber keinen davon ab, immer und immer wieder ein Schiff zu betreten und sich erneut dem Ruf der See hinzugeben.

Die Tage auf dem Atlantik, rund 155 Seemeilen von der französischen Westküste entfernt, brachten alles mit sich: Regen, Sturm, Sonnenschein, günstigen und zwischendurch auch mal weniger passenden Wind. Die Stille und Dunkelheit der Nacht, in der nur der Wind in die Segel rauscht und die Wellen zu hören sind, die endlosen Weiten, wenn nur Wasser tagsüber im Sonnenschein glitzert, durchbrochen von anderen Schiffen und Delfinen, die um den Bug spielen - all dies sind Erfahrungen, die man nicht missen möchte.

Natürlich ist es auch jede Menge Arbeit, auf einem Traditionssegler unterwegs zu sein. Man sollte sich in keinem Fall auf einen entspannten Urlaub mit Kreuzfahrtcharakter einstellen: Auf der Alex 2 packt jeder mit an, egal ob Trainee oder Stammcrew. Segel müssen gesetzt und wieder geborgen werden, Reparaturen fallen immer mal wieder an und auch sonst findet man selten keine Beschäftigung auf dem Schiff. Daneben gibt es Schulungseinheiten und von der erfahreneren Crew kann man jede Menge Input bekommen - sofern man sich aktiv einbringt und offen für Neues ist.

Man lebt ein wenig in einer eigenen Welt, vergisst den Alltag und Stress zu Hause - trotz umfangreichem Programm. Die ersten Tage können gar noch ein wenig anstrengender sein, wenn man die Hälfte nicht versteht - das wichtigste Schiffsvokabular erlernt man aber zum Glück leicht und in aller Regel findet man wirklich schnell Anschluss. Eingeteilt in eine der drei Wachen, die, für jeweils acht Stunden auf zwei vierstündige Blocks über den Tag verteilt, für das Schiff verantwortlich sind, hat man rasch eine Art Ersatz-Familie auf See gefunden, mit der man den Großteil der nicht-schlafenden Zeit verbringt. 

Neben den neuen Sozialkontakten, die man hier knüpft und nicht selten mit in den Alltag nimmt, wächst man auch über sich hinaus. Das Gefühl, das man verspürt, wenn man im Rigg klettern und (fast) ganz oben Segel ein- oder auspacken darf, während einem in rund 25 Metern Höhe über dem Deck der Wind um die Ohren pfeift, ist kaum zu beschreiben - aber hat man erste Erfahrungen gemacht, will man diese immer weiter vertiefen und die See auch von oben betrachten können. 

Einen würdigen Abschluss fand die Reise von 701 Seemeilen beim Captain's Dinner - vor der malerischen Kulisse der Küstenstadt St. Malo wurde geankert und zunächst angestoßen, nicht nur auf den gelungenen Törn, sondern auch auf einen frisch gebackenen Matrosen und eine neue Leichtmatrosin. Danach wurde geschlemmt und mit Wein und Bier der letzte Abend auf See gemeinsam gefeiert.   

Nach acht Tagen auf See war das zweite Erlebnis mit der Alexander von Humboldt II aber auch schon wieder vorbei, wobei das nächste nicht lange auf sich warten lassen sollte - für mich ging es Ende April nochmal zum Schiff, diesmal im Trockendock in der Werft in Bremerhaven. Der Abschied vergangenen Sonntag wird nur von kurzer Dauer sein: Der Weg nach Hamburg ist nicht weit und beim 827. Hafengeburtstag vom 05. bis 08. Mai 2016 kann man neben etlichen anderen Schiffen auch die Alex 2 in neuer Pracht (und wieder mit einem komplett grünen Segelsatz) bewundern, ​erstmals reinschnuppern und sich eventuell vom Virus befallen lassen. Keine Sorge, der tut nicht weh, höchstens kurz, wenn man wieder nach Hause fährt - aber das vergeht, sobald der nächste Törn in Aussicht steht und die Freiheit des Meeres wieder ruft.

Die Fotos wurden mir dankenswerterweise von meinen Mitseglern Carina Ruppert und Matthias Gerkens zur Verfügung gestellt. 

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