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01.09.2015 Julia Nemesheimer Privat
Segeltörn Norwegen, Tall Ships Races 2015

Der Ruf der See

​Manchmal bietet das Leben einfach Möglichkeiten, die man nicht verstreichen lassen sollte. So konnte unsere Redakteurin im vergangenen Monat an einem zehntägigen Törn auf dem Traditions-Großsegler Alexander von Humboldt II teilnehmen. Sie hat für hunderttausend.de einen kleinen Reisebericht verfasst.​

 
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"Es ist 23:25 Uhr. Es sind 12 Grad, es ist bewölkt und windig , aber es regnet noch nicht. Segel sind gesetzt." Mit diesen Worten aus dem abendlichen Schlaf gerissen, beginnt die Wache auf der Alex II. Aufstehen, warm anziehen, Sicherheitsgurt anlegen und im Stehen noch schnell ein Nutellatoast und Kaffee einverleiben. Um kurz vor Mitternacht ist Wachwechsel auf dem Poopdeck vor dem Kartenhaus. Bis 4 Uhr in der Früh wird meine 0–4 Wache das komplette Schiff mit der restlichen schlafenden Crew sicher durch die Nacht bringen.

Für rund zehn Tage war dies Alltag für knapp 60 Menschen, die auf dem Törn Alesund-Kistiansand teilgenommen haben: Acht Stunden Wache pro Tag, jeweils in vierstündige Blöcke eingeteilt, sodass das Schiff mit den grünen Segeln zu keinem Zeitpunkt ohne Aufsicht ist. Aufgeteilt in 0–4, 4–8 und 8–12 Wache waren wir gleichmäßig jeweils einem Toppsmatrosen (oder auch kurz Toppsi) unterteilt, die uns anleiteten und vor allen Dingen die wichtigen Sachen beigebracht haben. Die Hierarchie an Bord teilt sich klar auf: Kapitän (der in unserem Fall passenderweise Immo von Schnurrbein hieß), Steuermänner, Toppsmatrosen, Matrosen, Leichtmatrosen und Trainees. Alle, außer letzteren, gehören zur Stammcrew, sind schon (relativ) erfahrene Seefahrer und haben ihrem Grad entsprechende Prüfungen abgelegt. Als Trainee hingegen ist man meist neu an Bord und jede(r) kann sich über die Buchungsoption auf der Webseite des Schiffes für einen Törn anmelden. Ganz günstig ist dies zwar nicht, aber es lohnt sich definitiv. Allerdings sollte man keine Kreuzfahrt erwarten, ein Segeltörn ist vielmehr Action-Urlaub – neben dem Wachsystem, in dem man am Ruder oder am Ausguck stehen darf, das Deck schrubben und andere Instandhaltungsarbeiten machen, Segel setzen oder bergen muss, gibt es noch sogenannte All-Hands-Manöver, die nicht von einer Wache allein übernommen werden können. Ungeachtet der Uhrzeit kann es also vorkommen, dass man beispielsweise um 8 Uhr morgens aus dem Tiefschlaf gerissen wird, um sich unverzüglich an Deck einzufinden und gemeinsam mit allen anderen ein Halse oder Wende zu fahren, um den Kurs des Schiffes zu ändern. Daneben ist man mindestens an einem Tag von 0–0 Uhr wachbefreit und hat stattdessen Backschaft. Hierbei befindet man sich vorwiegend unter Deck und hilft in der Kombüse, deckt die Tische, spült das Geschirr und sorgt dazwischen für die Sauberkeit im gesamten Schiff.

Ist man zum ersten Mal auf einem Segeltörn, hört es sich zunächst oftmals so an, als würden alle anderen in einer Fremdsprache sprechen – fast nichts an Bord heißt so, wie man es an Land gewöhnt ist. Tassen sind Muggen, statt "Achtung" sagt man "Warschau", rechts ist steuerbord, links backbord, man sitzt nicht im Aufenthaltsraum, sondern in der Messe. Die Segel, 24 an der Zahl, sind an drei Masten verteilt – Fock, Top und Besan und auch hier muss man erst einmal Namen lernen, damit man weiß, was der Toppsi tatsächlich meint, wenn er vom Großroyal oder dem Flieger spricht. Doch umgeben von segel-verrückten Menschen und in permanenter Lernatmosphäre gewöhnt man sich recht schnell an das neue Vokabular, auch wenn man etwas länger braucht, um die rund 280 verschiedenen Tampen auswendig zu lernen, also das Tauwerk, mit dem man die Segel setzt und birgt.

Auf dem Schiff packen alle mit an, jeder bekommt klare Anweisungen, auch wenn man mal nicht weiß, wohin man soll, nimmt einen jemand bei der Hand. Alles ist an das jeweilige Tempo angepasst und die Stammcrew achtet darauf, dass jeder mitkommt. Wenn man irgendetwas nicht machen möchte, beispielsweise aus Höhenangst nicht ins Rigg klettern, nimmt es einem niemand krumm. Überhaupt lernt man sich an Bord schnell kennen – komplett aus dem Weg gehen kann man sich auch nur schwerlich. Der bunt gemischte Haufen jeglichen Alters fühlt sich ein wenig an, als wäre man nochmal auf Klassenfahrt, wobei gerade bei diesem Törn auch ein großer Anteil jugendlicher Mitfahrer auf dem Schiff war.

Neben den vielfältigen neuen Erfahrungen auf der Alexander von Humboldt II und den vielen Bekanntschaften, die man in diesem Zuge geschlossen hat, ist auch die norwegische Landschaft kaum zu verachten. Vom malerischen Alesund mit seinem Jugendstil-Zentrum, auf das man vom Aussichtspunkt einen fantastischen Ausblick hatte, durch die Fjorde hin zum Zwischenhalt im klischee-erfüllenden Fischerort Egernsund und dem Ziel der Reise - Kristiansand. Dort, in Süd-Norwegen waren alle Großsegler vertreten, die an der zweiten Regatta der Tall Ships Races 2015 teilgenommen haben (Das erste Rennen führte von Belfast nach Alesund, auch hier konnte man an den Anreisetagen die übrigen Segelschiffe bewundern). Bei dem großen Hafenfest wurde neben einem vielfältigen Programm für die Besucher auch einiges für die Besatzungen der Schiffe geboten. Crew-Parade, sportliche Wettkämpfe und eine große Abschlussparty haben den Aufenthalt im Hafen der fünftgrößten Stadt Norwegens zu einem weiteren Highlight der Reise werden lassen.

Die Zeit auf See war unbeschreiblich und sollte jedem ans Herz gelegt werden, der die Möglichkeit dazu geboten bekommt - ohne Internet und mit Meer wohin man blickt, sieht man vieles aus einer ganz neuen Perspektive. Abschalten und die Welt auf diese Weise erkunden, ist eine fantastische Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Einmal mitgefahren, packt einen auch rasch die Sehnsucht nach me(e)hr - die See ruft bereits und wartet darauf, nochmal zu verzaubern.

​Die Fotos wurden freundlicherweise von meinen beiden Mitseglern Patrick Matschoss und Klaus Schneider zur Verfügung gestellt. 

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