Interviews
21.05.2016 Julia Nemesheimer Julia Nemesheimer
Aesthetic Perfection Interview

"Lady GaGa meets Marilyn Manson"

​Anfang Mai war Daniel Graves, Mastermind der Band Aesthetic Perfection, für eine kleine Clubshow in Hamburg. Im Juli tritt er, neben diversen Konzerten, auch beim Amphi-Festival auf. hunderttausend.de nutzte die Gelegenheit, um sich mit dem Sänger und Musiker zu unterhalten. 

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​Wir treffen uns mit Daniel, seinem Keyboarder Elliott und dem Tourmanager Jan, die sich im Hintergrund halten, in einer Bierbar Nahe des Hauptbahnhofes. Gegen 16:00 Uhr stellt er sich, bewaffnet mit Bier, erst unserem Kurzfragen und anschließend sehr locker, gelöst und geduldig allen restlichen Fragen:

hunderttausend.de: Was tust du morgens als erstes? Hast du ein Morgenritual?


Daniel Graves: Auf Handy schauen.


Digital oder Analog?


Digital.


Stadtbus oder Fahrrad?


Fahrrad.


Du bleibst in einem Aufzug stecken, mit wem würdest du lieber darin sein – Lady GaGa oder Katy Perry?


Lady GaGa – wobei Katy Perry heißer ist, aber Lady GaGa ist definitiv interessanter.


Wofür gibst du zu viel Geld aus?


Alkohol.


Wofür kann man nicht zu viel Geld ausgeben?


Äh..Alkohol (lacht).


Morgen geht die Welt unter – wie verbringst du deinen letzten Abend?


Alkohol mit Freunden trinken.


Eine Präferenz beim Alkohol an diesem Abend?


Einen guten Scotch oder belgisches Bier.


Es stellt sich heraus, dass nicht die Welt unterging, sondern eine Zombie-Apokalypse beginnt – welche Rolle spielst du darin?


Ich bin wohl das Opfer. Ich sterbe direkt. Ich bin nicht so der „Survival“-Typ, ich komm nur in der Stadt klar und bin in der Natur ziemlich verloren.


Aber die Zombies werden ja auch in der Stadt sein...


Ja, schon, aber wenn ich mir ansehe, wie andere Menschen darauf vorbereitet sind oder auch nur auf die Wildnis. Ohne Strom, fließendes Wasser und die restlichen Bequemlichkeiten wäre ich absolut aufgeschmissen.


Da ich nicht für ein Szene-Magazin schreibe und die Leser dementsprechend deine Musik in den meisten Fällen nicht kennen – wie würdest du sie solch neuen und „unbedarften“ Hörern beschreiben?


Lady GaGa meets Marilyn Manson. Es ist Pop, Dark, soft, heavy – es ist wie Tag und Nacht, zumindest sehe ich das so und hoffe auch, dass es so angenommen wird.


Du machst ja auch Remixes von Katy Perry, Lady GaGa und anderen Pop-Größen, während du mit deiner Musik eher in der Gothic- und Alternativen-Szene verortet bist. Wie kommst du mit diesen beiden Musikwelten klar?


Es ist ziemlich schwierig. Leute in Subkulturen werden leicht elitär und haben oft Probleme, Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ihren Präferenzen gehören. Ich persönlich mag es allerdings nicht, mich in irgendeiner Weise selbst zu beschneiden und einzuschränken. Kunst sollte immer interessant, herausfordernd und unterschiedlich sein. Ich bin sowohl mit Pop- als auch Alternative-Musik aufgewachsen und liebe sie dementsprechend beide. Es ist beides ein Ausdruck dessen, was ich bin. Das kann halt zu Schwierigkeiten führen, weil ich offensichtlich zu poppig für die Gothic-Szene bin, aber gleichzeitig auch zu Gothic für Pop. So bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen eigenen Bereich zu erschaffen und Fans dafür zu finden, schließlich kann ich nicht als Einziger so denken.


Deine Songs, die ja viele Pop-Elemente beinhalten, werden aber auch von der Gothic-Szene akzeptiert und gemocht – wie erklärst du dir das?


Eben dadurch, dass ich nicht allein sein kann. Es gibt ziemlich viele Leute, die so aufgewachsen sind wie ich. Mit Pop-Musik und später in die Alternative Szene reingerutscht sind und jetzt haben sie immer noch die Erinnerung an die Musik ihrer Kindheit. Und es ist wirklich schwer, zu behaupten, man möge keine Pop-Musik. Diese Art von Musik wird nur deshalb gemacht, weil sie eben gemocht werden soll und kann. Darum lasse ich das auch in meine Werke mit einfließen, weil ich es mag und weil ich drauf stehe, Menschen zu foltern (lacht). Ich denke, die Leute mögen es und es gibt sehr viele, die das nicht zugeben wollen.


Vergangenes Jahr hast du dich dazu entschieden, eine Pause einzulegen und mit Aesthetic Perfection eine unbestimmte Zeit lang nicht live aufzutreten. In einem anderen Interview hast du gesagt, dass Touren für dich viel Einsamkeit, Langeweile und diverse andere negative Komponenten beinhaltet. Was hat dich bewogen, jetzt wieder damit anzufangen?


Der beschissene Part am Touren ist zum Glück ja nicht das auf der Bühne stehen, das sind die anderen Sachen: Das Reisen, weit weg zu sein von denjenigen, die man liebt, im Backstage rumsitzen für zehn Stunden, in einer fremden Stadt zu sein, aber nicht wirklich rausgehen zu können und sich zu beschäftigen. Man hat sehr viel Zeit, um sich zu langweilen und allein zu sein. Der Grund, warum ich es trotzdem tue, ist, weil ich es mag, zu performen. Weil ich eben daran die Freude verlor, habe ich beschlossen eine Pause einzulegen, denn wenn dieser Part einem keinen Spaß mehr macht, dann hat man keinen Sinn mehr darin, das alles überhaupt noch zu tun.

Dementsprechend habe ich zuletzt im August letzten Jahres einen Auftritt gehabt, das war beim M'era Luna. Jetzt fange ich wieder an, weil ich es vermisst habe und die Pause wirklich nötig hatte. Ich habe die Zeit genossen und genutzt und jetzt bin ich wieder da (grinst).


Gibt es denn keine Möglichkeit, die Zeit in den fremden Städten sinnvoll zu nutzen?


Ich versuche das schon. Jetzt habe ich angefangen zu joggen und ich bemühe mich, Kunstmuseen zu besuchen, sofern es im Bereich des Möglichen liegt, oder Musik zu machen. Das Ziel ist es, diese Zeitspannen mit produktiven Dingen zu füllen, sodass ich dann nicht einfach nur rumsitze und mich betrinke oder so.


Warum hast du dich dazu entschieden, mit kleinen Club-Shows wieder anzufangen?


Auf diese Weise kann ich den Leuten, die mir das alles ermöglichen, ziemlich nahe kommen. Es ist schon ziemlich cool auf großen Festivals wie dem Wave Gotik Treffen oder dem Amphi-Festival zu spielen. Vor vielen tausend Menschen auf einer Bühne zu stehen ist verrückt und großartig zugleich. Aber bei diesen großen Shows gibt es diesen großen Graben und Barrieren. Ich fühle mich dann mehr, als wäre ich das Bild im Fernsehn. Ich habe keine wirkliche Verbindung, vielmehr mache ich mein Ding und die anderen halt ihres. Bei so kleinen Konzerten ist es sehr viel persönlicher, man kann die Energie fühlen und aufsaugen, man kann Leute berühren, riechen und insgesamt ist das einfach die Art, auf die ich am liebsten auftrete. Der Auftritt in Hamburg beispielsweise war ziemlich großartig und genau nach meinem Geschmack.


Beim angesprochenem Auftritt gab es im Vorfeld die Möglichkeit, sich die Playlist per Voting zusammen zu wünschen. Warst du überrascht, als du die Ergebnisse gesehen hast?


Tatsächlich bin ich davon ausgegangen, dass die Fans sich eher Songs wünschen, die nicht so oft gespielt werden. Für mehrere Jahre spielen wir nun schon eine Handvoll Songs immer und immer wieder. Ich hatte auf etwas Unerwartetes gehofft. Stattdessen war die Mehrzahl der Lieder eben diese, die schon so oft gespielt wurden. Wir hatten auch alle gespielt, abgesehen von „All Beauty Destroyed“, wobei der Grund, warum das rausflog, nur war, dass ich „Devotion“ spielen wollte und zwei Piano-Balladen in der Setlist zu viel gewesen wären.


In deiner Pausen-Phase hattest du ja trotzdem Auftritte. Wie sind die ausgefallen oder wie kann man sich die vorstellen?


Das waren nicht viele, aber bei diesen Auftritten habe ich Live gesungen und mit meiner DJ-Konsole für die Musik gesorgt, das heißt, ich hatte keine Band mit dabei oder andere Unterstützung. Ich habe dann für eine halbe Stunde gespielt, als Erster und bin danach meistens gegangen. Das war Teil meiner persönlichen Therapie, um wieder Spaß am Auftreten zu haben. Wenn man das als Lebensunterhalt macht, dann gibt es immer Leute, die Erwartungen haben, denen man gerecht werden soll. Darüber macht man sich viele Gedanken und es kann passieren, dass man sich zu sehr darauf fokussiert das Publikum glücklich zu machen anstatt sich selbst. Daher waren diese Shows für mich eine Möglichkeit, auf einer fremden Bühne zu stehen und sich eben nicht darum zu kümmern, wer vor mir steht, ob die Leute die Musik mögen, überhaupt kennen oder nicht. Es ging nur darum, etwas für mich zu tun. Oft waren nur eine Handvoll Fans unter den Leuten, die dann aufgetaucht sind.


Also war die Resonanz von deinen Fans nicht allzu groß?


Menschen sind allgemein einfach nicht spontan. Die Leute sind so eingebunden heutzutage, dass kaum jemand mal eben mehrere hundert Kilometer fährt, um eine bestimmte Band zu sehen. Diejenigen, die das tun, sind entweder so Superfans oder gehören zu den wenigen Menschen, die eben spontan sind. Wobei es natürlich auch wirklich das Ego pusht, wenn dann Leute dabei sind, die eine längere Strecke zurückgelegt haben, nur um mich spielen zu sehn.


Im Juli spielst du auf dem Amphi Festival.


Ja, zum zweiten Mal.


Echt? Ich dachte, du wärest öfter dort gewesen?


Ach stimmt, es wird das dritte Mal sein, dass ich dort spiele.


Was magst du an dem Festival, das andere Formate so nicht haben?


Oh, das ist 'ne schwierige Frage. Die Outdoor-Stage ist ziemlich cool, wobei wir dort nicht spielen werden. Generell ist es aber interessant, auf Festivals zu spielen. Dort sind solche Menschenmassen und der Großteil weiß entweder nicht, wer du bist oder schert sich einen Dreck um dich und deine Musik. Du musst also die Leute für dich gewinnen und die vergeben dir kleine Fehler nicht so schnell wie Fans das tun.

Beim Amphi hat mir bisher immer die Strandbar richtig gut gefallen und dieses Jahr wurde der Veranstaltungsort ja wieder zurückverlegt zum Tanzbrunnen aus dieser Arena, das freut mich wirklich.


Deine Gigs wiederum sind ja jetzt nicht so lang, gestern hast du etwa 80 Minuten gespielt. Auf Festivals hat man ohnehin eher kleinere Slots – gibt es einen Unterschied zwischen deinen Headliner-Shows und Festival-Auftritten?


Ich versuche, es immer gleich zu gestalten. Dort sollte in keinem Fall die Qualität leiden und dementsprechend ändere ich nicht viel. Wobei du jetzt meintest, dass ich immer kurze Gigs spiele, aber du hast gar nicht gefragt, warum ich das tue. Der Grund dafür ist schlicht, dass ich das lieber mag. Gerade auch wenn ich als Fan zu Konzerten gehe. Leute werden müde und Shows entziehen dir eine Menge Energie. Daher denke ich, es ist viel besser, etwas früher aufzuhören und das Publikum mit dem Gedanken zu entlassen, dass es total schön war und man jetzt noch ewig weitertanzen könnte, statt dass man drei Stunden lang spielt und die Leute anfangen auf die Uhr zu schauen und darüber nachzudenken, dass sie jetzt noch nach Hause fahren und morgen wieder früh zur Arbeit müssen. Denn wenn Leute noch mehr wollen, dann kommen sie auch wieder. Das habe ich quasi aus meiner Kindheit mitgenommen und übernehme es jetzt als alter Mann – mit fast 33 ist man ja quasi schon tot.


Gibt es denn irgendwelche Bands, die du dir privat beim Amphi anschaust?


So genau weiß ich das noch gar nicht. Ich werde mit Solar Fake...nein, die spielen mit mir. Also Solar Fake spielt mit mir -


Tourmanager: Sollte das nicht ein Geheimnis bleiben?


Sollte es? Naja, jetzt ist es keins mehr. (lacht) Hiermit ist das dann offiziell raus. Und wer sonst so spielt, mal schaun. Ich habe nicht so viel Freizeit, aber die paar Stunden werde ich nutzen, um zu trinken und mir Bands anzuschauen. Ich bin halt spontan (grinst). In meinem Alltag bleibt mir dafür oft nur wenig Zeit, weil ich einen straffen Terminplan habe, darum freue ich mich immer, wenn ich solche Möglichkeiten wahrnehmen kann, um spontan zu sein.


Gibt es ein Lieblingsfestival bei dir?


Ja, tatsächlich ist es das Wave Gotik Treffen. Angefangen dorthin zu gehen, hab ich 2004 und seitdem war ich jedes Jahr dort bis 2012, als ich zurück nach Amerika gezogen bin. Dort kann man rumlaufen, neue Leute kennenlernen, sich mit Freunden treffen. Als ich für dieses Jahr mein Zimmer und meinen Flug gebucht habe, wusste ich nicht mal, dass ich spielen sollte (lacht). Daher konnte ich einfach sagen, dass das alles kein Problem ist, weil ich ja schon da bin.


Um nochmal auf deine Arbeit zu sprechen zu kommen, du hast das Album „Blood Spills Not Far From The Wound“ bereits 2007 veröffentlicht, damals mit deinem Side-Project Necessary Response. Ist das jetzt einfach nur ein Re-Release?


In gewisser Weise schon, wobei viele Leute die Erstveröffentlichung gar nicht mitbekommen haben, wodurch das für diejenigen einfach neues Material ist.


Warum hast du dich dafür entschieden?


Ich habe ja einfach nur die Original-Dateien genommen und ein bisschen gepimpt. Die Vocals wurden neu eingesungen, der Rest ist noch weitestgehend das Gleiche wie 2007. Als Künstler ist man niemals wirklich zufrieden. Wenn man also die Möglichkeit bekommt, nochmal zurückzugehen, dann möchte man diese Chance ergreifen.

Ich bekomme allerdings jede Menge negative Rückmeldung, gerade von Leuten, die die Ursprungsversion kennen, während der Rest relativ positiv gestimmt ist. Ich selbst mag es und mit den Kommentaren kann ich inzwischen auch einigermaßen umgehn. Außerdem werde ich die alte Version auch nicht löschen. Das heißt, es ist noch immer verfügbar und wird es blieben, sodass man einfach das hören kann, was man lieber möchte.


Der Grund, weswegen du es damals nicht als Aesthetic Perfection veröffentlichen konntest, war ja auch das Label, das die Musik nicht passend fand. Ist das Problem jetzt gelöst, weil du mehr Erfolge vorzeigen kannst?


Die Labels vertrauen mir inzwischen mehr. Ich kann tun, was ich will. Wobei das alles auch dazu geführt hat, dass „A Violent Emotion“ viel poppiger wurde. Ich war damals verdammt wütend, dass ich nicht das machen konnte, was ich wollte. „Close to Human“ sollte viel mehr Elemente beinhalten, die man dann bei Necessary Response finden konnte. Jetzt, acht Jahre später, kann ich die Songs wieder ins Aesthetic Perfection-Artwork mit einfügen, was aus künstlerischer Sicht wirklich befriedigend ist.


Und bist du mit den Songs in ihrer jetzigen Version zufrieden?


Nein. Und ich denke auch, dass du niemals komplett zufrieden sein solltest. Perfektion ist natürlich nicht real, ähnlich wie der Goldtopf am Ende des Regenbogens, aber man muss immer dran glauben, dass man besser werden kann, denn sonst könnte man auch komplett aufhören. Natürlich muss man es an irgendeinem Punkt auch mal gut sein lassen, weil man es sonst ins Unendliche pushen kann. Ich bin in jedem Fall glücklicher mit der jetzigen Version, aber immer noch nicht komplett zufrieden.


Lieben Dank für das​ Gespräch, wir sehn uns dann wohl auf dem Amphi - zumindest wir dich!​


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