Interviews
29.06.2014 Jörg Halstein Nadine Rupp
Fußball-Reporter Wolff-Christoph Fuss im Interview

"Kritik an Kommentatoren gibt es schon seit 100 Jahren"

​​​​​​Wolff-Christoph Fuss zählt zu den bekanntesten Fußballreportern Deutschlands. Am 4. Juli ist er an der Universität Trier zu Gast und liest aus seinem neuen Buch "Diese verrückten 90 Minuten: Das Fuss-Ball-Buch". Wir haben uns mit ihm über Twitter, Reporterschelte und den 1. FC Köln unterhalten.

 
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​hunderttausend.de: Wie schwer fällt es Ihnen, ausgerechnet bei einer Fußball-WM nicht am Mikro sitzen zu dürfen?

Wolff-Christoph Fuss: Das fällt mir total leicht, weil ich als ganz normaler Fan vor der Glotze sitzen und ganz entspannt zuschauen kann, ohne ständig über das Wieso und Warum mit dem professionellen Blick nachdenken zu müssen.

Aber ganz so still bleiben Sie trotzdem nicht, auf Ihrem Twitter-Account​ lassen Sie dann ja doch die eine oder andere Bemerkung fallen...

Ich habe die sozialen Netzwerke erst in den letzten Monaten für mich entdeckt. Bei Twitter bin ich seit letztem Oktober und finde, dass dort ein erquicklicher Austausch stattfindet, bei dem ich immer wieder neue Gedankenanstöße erhalte. Ein faszinierendes Medium, bei dem Leute mit wenig Zeichen viel Kreativität ausdrücken. Aber ich schaue beim Fußball nicht pausenlos aufs Handy,

Kommentatoren als ahnungslose Vollpfosten zu beschimpfen ist wahrscheinlich seit der ersten Fernseh-Übertragung Volkssport. Der Unmut wird nun aber in den Sozialen Medien erstmals sichtbar. Wie gehen Sie damit um?

Kritik an Kommentatoren gibt's schon seit hundert Jahren. In den sozialen Netzwerken geht das heute einfach nur schneller. Man darf nicht den Fehler machen und das überzubewerten: Wenn ein Kollege vor 20 Millionen kommentiert und einige Dutzend User meckern, dann kann man auch mal die Zahl derjenigen dagegenhalten, die sich nicht beklagen oder die Zahl derer, die ihrer Freude über den Kommentator Ausdruck verleihen. Die gibt es nämlich auch. 

Als Reporter darf man das alles nicht zu ernst nehmen. Wenn sich Spieler, Trainer und Schiedsrichter nicht für die Niederlage verantwortlich machen lassen, dann trifft es eben auch schon mal den Kommentator. Der hat sich schließlich auch als einziger selbst zum Fußballabend eingeladen. Die Leute gucken wegen des Spiels und nicht weg des Kommentators, der wird ihnen aufgedrängt. Für freundschaftliche Beziehungen ist diese Voraussetzung nicht ganz ideal.

"Als Kommentator kann man nur verlieren", hat Steffen Simon  gesagt. Hat er recht?

Richtiger wäre vielleicht: Als Kommentator kann man nicht viel gewinnen.

Viele Fußball-Zuschauer scheinen ihren unkonventionellen Stil  außerordentlich zu mögen. Jetzt sagen Sie aber bitte nicht, dass Ihnen alle Einwürfe wie "Jetzt muss Genua sein ganzes Fleisch auf den Grill legen" superspontan aus dem Mund fallen.

Wie sonst? Wenn man versucht, sich von einem vorbereiteten Kalauer zum nächsten zu hangeln, wird es ganz abenteuerlich. Das Spiel steht im Vordergrund. In meinen Unterlagen stehen ein paar statistische Daten und ein paar Trivias über die Mannschaften. Das ist es. Das Spiel macht den Kommentar, nicht umgekehrt.

Was finden Sie eigentlich um Himmels willen so schlimm daran, wenn es im "Strafraum lichterloh brennt"?

Ich habe im richtigen Leben noch niemanden getroffen, der seinem Kumpel von einem Spiel erzählte, indem er sagt, dass es nach 20 Minuten lichterloh im Strafraum gebrannt habe. Oder dass es gut war, dass die Mannschaft in der 60. den Bock umgestoßen hat. So spricht doch keiner! Warum sollte ich das als Sportreporter tun? 

Wie halten Sie es mit Schnittstellenpässen, der Polyvalenz, dem Überladen, dem diagonalen Abkippen? Mehr davon oder doch allmählich zuviel Fußballhipsterei?

Ich finde das lustig. Das ist zwar nicht mein Stil, aber ich kann nicht ausschließen, dass es auch bei mir mal einen "polyvalenten Spieler" gibt - allerdings mit einem Augenzwinkern.

Jürgen Roth hat in der taz dem modernen Fußball ein Ende gewünscht und Sie dabei auch ins Visier genommen: "Heute heißen alle, alle, alle Fußballreporter Wolff-Christoph Fuss und sind schamlose Sprachzerschreier und (...) Selbstvermarktungsaufdringlichkeitsclowns." Hübsch, oder?

Sehr (lacht). Wobei er mich offensichtlich genauso wenig kennt wie ich ihn. Wahrscheinlich hat er keine zwei Spiele von mir gesehen, darunter eines, bei dem ich angeblich 90 Minuten lang nur gebrüllt habe. Was übrigens komplett ausgeschlossen ist. Das ist Klischee-Bingo in Vollendung. Ich kann Ihnen zu jedem Spiel Dutzende Gegenmeinungen zeigen, wo Leute mich nachher fragten, warum ich heute etwas reserviert war oder die Emotionalität als angemessen empfanden. Ihm habe ich möglicherweise komplett den Abend versaut, das tut mir ja durchaus leid. Und es stellte sich ein Medium zur Verfügung, in dem er seinen Unmut äußern durfte. Rhetorisch nicht unattraktiv, hätte er auch einfach sagen können: Ich höre den Fuss nicht so gerne. Das ist völlig ok. Reporter polarisieren grundsätzlich! Ich halte es mit Ernst Huberty, der mir einmal sagte: Wenn 50 Prozent der Zuschauer dich gerne hören, dann ist das ein guter Schnitt.

Wer Sie als zu lautsprecherisch empfindet, könnte sich nun ihr Buch in aller gebotenen Ruhe zu Gemüte führen. Wie war es denn für Sie, abseits der lauten Stadien im stillen Kämmerlein an einem Buch zu schreiben?

Sehr angenehm! Für mich war das Buch letztlich auch so eine Art nachträgliches Tagebuch. Seit 1998 ging alles rasend schnell in meinem Leben. Die Aussicht, die letzten 15 Jahre "Paroli laufen zu lassen" (lacht dreckig), fand ich extrem reizvoll. 

Der 1. FC Köln wird wieder Bundesligist. Das freut Sie, oder?

Ja klar, das freut mich sehr. Aber ich traue dem Frieden erst, wenn Köln drei, vier Jahre oben bleibt. Der Schritt, sich mittelfristig in der Bundesliga zu etablieren, ist ihnen ja in den letzten Jahren einfach nicht gelungen. Ich bin guten Mutes, es bleibt aber spannend.

Waren Sie schon einmal im Trierer Moselstadion? 

Noch nie. Noch nie! Ich meine mich zu erinnern, dass ich ein einziges Mal in Trier war, aber da war ich noch einstellig.

Am 4. Juli sprechen Sie an der Universität Trier vor dem akademischen Nachwuchs. Empfehlen Sie dem eine sportjournalistische Ausbildung?

Unbedingt, ohne wenn und aber! Jeder, der sich für Fußball interessiert, sollte versuchen, diesen Weg zu gehen. Es ist durchaus ein Handwerk, dass man erlernen muss. Die wenigen Arbeitsplätze sind zwar nach wie vor sehr begehrt - wir hatten bei Sky gerade ein Kommentatoren-Casting mit über 7.000 Bewerbern. Aber man kann seinen Weg finden. Über Studium, Praktika etc.  Ich habe anfangs auch noch nebenbei als DJ in München auflegen müssen, um mir etwas dazuzuverdienen. 

Was haben Sie aufgelegt?

Donnerstags Mainstream, freitags R'n'B und samstags House. 

Spielen Sie noch WM-Orakel für uns. Wird Deutschland Weltmeister?

Ich habe schon vor dem Turnier gesagt, dass ich der deutschen Mannschaft alles zutraue. Eine Mannschaft mit solchen Einzelspielern muss meiner Meinung nach um den Pokal mitspielen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht trotzdem unglücklich in  einem Viertel- oder Halbfinale ausscheiden können.

Die Veranstaltung mit Wolff-Christoph Fuss beginnt am Freitag, 4. Juli 2014, um 20:00 Uhr und findet im Hörsaal 3 der Universität Trier statt. Umrahmt wird die Lesung von Achtelfinal-Übertragungen im Hörsaal 2 (ab 18:00 bzw. 22:00 Uhr). Der Eintritt kostet 7 Euro, ermäßigt 5 Euro.

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