Interviews
08.06.2015 Julia Nemesheimer Julia Nemesheimer
Frank Turner Interview

Zombies, Slug Life und die Globus-Bar

​Am vergangenen Donnerstag, den 04. Juni 2015, spielten Frank Turner & The Sleeping Souls im den Atelier in Luxemburg. Vor dem Konzert hatte hunderttausend.de die Möglichkeit, sich mit dem britischen Singer-Songwriter zum Gespräch zu treffen. 

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Hi Frank, lass uns mit einigen Kurzfragen starten: Was tust Du als erstes am Morgen?

Ich trinke immer ein Glas Wasser mit Vitamin-C Tabletten – gegen den Kater (lacht).

Digital oder analog?

Ist das eine philosophische Frage? Ich denke beides. Ich hänge ständig an meinem Telefon, aber ich liebe akustische Gitarren. Dementsprechend würde ich sagen, ich arbeite digital und spiele analog. 

Zug oder Fahrrad?

Definitiv Zug. Ich hab Angst vor Fahrrädern, seitdem ich mit elf Jahren einen Unfall damit hatte. Manchmal fahr ich zwar noch Rad, aber immer mit einem seltsamen Gefühl. 

Du bleibst in einem Aufzug stecken – lieber mit Fat Mike (NOFX) oder Bruce Springsteen?

(lacht) Die einfache Antwort darauf wäre Fat Mike, weil wir befreundet sind. Ich bin mir sicher, dass ich ganz schön nervös wäre, wenn ich mit Springsteen dort stecken bleiben würde. Wir hätten bestimmt eine Menge zu reden, aber ich nehm dann doch Fat Mike. 

Wofür gibst Du zu viel Geld aus?

Taxis. Ich geb nicht so viel Geld aus – ich lade mal Freunde zum Essen in Restaurants ein, aber da würde ich nicht sagen, dass es zu viel ist – das ist eher eine gute Art, Geld auszugeben. Wann immer wir irgendwo auf Tour sind, versuche ich, mit Leuten, die ich kenne, Essen zu gehen. Aber ansonsten wirklich Taxis in London. Auch wenn die öffentlichen Verkehrsmittel dort echt gut sind, so fühle ich mich ein bisschen schlecht, weil ich inzwischen so faul geworden bin, dass ich mir oft einfach ein Taxi nehme. 

Wofür kann man nicht genug Geld ausgeben?

Die Gesundheit – würde ich mal sagen. Wenn ich damit meine eigene oder die Gesundheit von jemanden, der mir nahe steht, verbessern kann, dann wäre das etwas, woran man nie sparen sollte.

Morgen ist das Ende der Welt - wie verbringst Du den letzten Abend?​

Ich hätte eine Hausparty bei mir – mit all meinen besten Freunden und wir würden die ganze Nacht durchmachen, weil es dann ja eh egal wäre.

Was gibt es dabei zu trinken?

Jameson Whiskey.

Du wachst auf mit einem großen Kater...

Aber ich geh ja gar nicht schlafen (lacht).

Okay, es stellt sich heraus, dass es nicht das Ende der Welt ist, sondern der Beginn einer Zombie-Apokalypse. Welche Rolle spielst Du dabei?

Oh Gott, ich denke, ich werd' als allererster gekillt. Ich würde mich da nicht gut schlagen, ich bin bei sowas echt nicht gut. Ich bin vermutlich der "Lead Zombie" - ah ich weiß: Ich bin derjenige, der im Labor vom Affen gebissen wird und die ganze Sache ins Rollen bringt. 

Kommen wir zu ernsthafteren Fragen: Du hast Geschichte studiert und auch einen Abschluss. Worüber hast Du Deine Bachelorarbeit geschrieben?

Ich hab zentraleuropäische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert studiert, mit einem Schwerpunkt auf Osteuropa. Meine Abschlussarbeit war eigentlich echt langweilig: "Die Handelsbeziehungen des Britischen Außenministeriums mit den Balkanstaaten im Rahmen der Tabakernte der späten 1930er". Es hatte viel mit der Appeasement-Politik der Briten zu tun. Womit die Briten ja versucht haben, die Deutschen nicht direkt zu konfrontieren, sondern auf wirtschaftlichem Weg Einfluss zu gewinnen. Die Balkanstaaten waren relativ abhängig von Nazi-Deutschland und man hat sich dann bemüht, etwas dagegen zu tun. Aber irgendwie waren sie nicht so ganz dahinter und daher hat das dann nicht gefruchtet. Klingt jetzt nicht so spannend, nicht wahr?

Hilft Dir denn Dein im Studium angeeignetes Wissen in Deinem täglichen Leben?

Geschichte ist sehr wichtig und ich denke, sie hilft einem dabei, die heutige Welt besser zu verstehen. Ich versuche, viel Historisches zu lesen, nicht ausschließlich akademisch, sondern breit gefächert. Beispielsweise hab ich heute einen Zug von Paris über Metz nach Luxemburg genommen, weil ich letzte Nacht dort verbracht habe. Auf der Strecke ist jede Menge Geschichte versteckt, allein die beiden Weltkriege haben hier ja viele Spuren hinterlassen. Auf der Fahrt hab ich mir tatsächlich die Landschaft angeschaut und mir das alles vor Augen gehalten. Es hat also schon einen gewissen Einfluss auf mich. 

Dank Twitter weiß man ja, dass Du beispielsweise in London gerne "Historical Walks" unternimmst. In Trier gibt es ja tonnenweise alte, römische Bauten, hast Du davon bei Deinen Aufenthalten schon was gesehen?

Es gibt ein Foto von mir unter der Porta Nigra, die hab ich mir angeschaut. Aber, auch wenn viele das denken mögen, man ist einfach nicht im Urlaub, wenn man auf Tour geht. Es gibt Leute, die mir Listen schicken mit verschiedenen Orten, die ich mir anschauen soll. Da wir ja nicht nur den ganzen Tag rumsitzen, hab ich aber für sowas gar keine Zeit. Oft ist es echt schade, ich hab zum Beispiel schon drei Mal in Washington DC gespielt, bis ich irgendwann mal die Zeit hatte, mir das Weiße Haus anzusehen. 

Und wie sieht es an freien Tagen aus? Was machst Du am liebsten?

(lacht) Wir nennen das "Slug Life". Wir sind ja meistens mit dem Nightliner unterwegs, das heißt, heute Abend starten wir um 1:30 Uhr. Wenn wir dann wieder aufwachen, sind wir an einem anderen Ort und gehen ins Hotel. Ich sperre dann meine Tür zu und gehe echt lange duschen, bestell was beim Zimmerservice und lese Bücher oder schaue Serien und vermeide einfach das Sonnenlicht. Gerade auch auf langen Tourneen ist man oft so müde, dass man wirklich nichts anderes mehr hinbekommt. Manchmal ist das natürlich auch schön, rauszukommen. Ben, unser Gitarrist, macht es oft so, dass er sich ein Taxi bestellt und sich die Stadt anschaut, in der wir grade sind. Ich find das eigentlich cool, aber wie gesagt, ich bin meist viel zu müde, um mich groß zu bewegen und es ist auch schön, mal mit niemandem zu reden. 

Ihr seid auch schon öfter mal in Luxemburg gewesen…

Ja, das stimmt, wobei wir zum ersten Mal wirklich in Luxemburg-Stadt sind. Bisher waren wir immer in der Rockhal oder einmal auch in Dudelange, das ist ja beides im Süden.

Wird es nicht auch langweilig, die gleichen Orte immer und immer wieder zu besuchen?

Jede Show ist ja anders. Außerdem ist es auch nicht oft, wenn man in zehn Jahren drei Mal am gleichen Ort spielt. Und die Leute, die zu den Konzerten kommen, leben nunmal in bestimmten Regionen. Mein Job ist es, diese Leute zu unterhalten und da kommen dann eigene Vorlieben auch mal zu kurz. Natürlich könnten wir auch an irgendwelchen seltsamen Orten spielen, aber vermutlich kommt dann einfach niemand und das wäre dann die schlimmste Tour. Aber ich will mich nicht beschweren - ich kann mein Leben mit meiner Musik finanzieren und das ist einfach unglaublich. 

Wenn man sich Dein Buch "The Road Beneath My Feet" durchliest, dann erinnerst Du Dich an Konzerte, die mittlerweile ja schon zehn Jahre zurückliegen. Wie konntest Du all das noch rekonstruieren?

Ich hab einfach ein gutes Gedächtnis für die Shows, die ich gemacht habe. Ein Grund für das Buch war sicherlich auch, dass ich die Sachen aufschreiben wollte, bevor ich es vergessen habe. Denn Erinnerungen verblassen irgendwann einfach. Ich hab das Buch auch schon vor einiger Zeit angefangen. Und inzwischen gibt es zu manchen Konzerten kein konkretes, aktives Bild mehr in meinem Kopf - aber ich kann es nachlesen und das hilft mir, mich daran zu erinnern. Also ist das einfach eine Art Erinnerungshilfe für mich. 

Aber Du führst jetzt kein Tour-Tagebuch oder sowas?

Nein. Es gibt ja die Liste mit allen Konzerten, die ich jemals gespielt habe und das war meine Hauptreferenz. Ansonsten hab ich auch mal mit den Jungs von den Sleeping Souls gesprochen oder mit jemand anderem, der involviert war, wenn ich mich an wirklich gar nichts mehr erinnern konnte. 

Das Buch und auch Deine Songs sind ja wirklich sehr persönlich. Fühlst Du Dich nicht manchmal nackt oder bloßgestellt vor deinen Lesern beziehungsweise Hörern?

Ja, ein wenig. Und ich hab viel darüber nachgedacht, als ich das Buch geschrieben habe. Ich versuche immer, andere Leute nicht zu kompromittieren. Es macht mir weniger aus, wenn ich mir in meinem eigenen Buch selbst irgendwie schade. Aber ich versuche auch immer, einen klaren Strich zwischen meinem öffentlichen und meinem persönlichen Leben zu ziehen. Darum ist es auch keine Autobiographie - es beinhaltet ja nicht mein ganzes Leben, sondern handelt von einem großen und wichtigen Teil, aber von nichts, was mir zu persönlich ist. 

Jetzt kommt ja demnächst auch Dein neues Album "Positive Songs For Negative People" raus. Wie sehen Deine Erwartungen diesbezüglich aus oder wie fühlst Du Dich jetzt? Gibt es da irgendwelche Zweifel im Voraus?

Es ist immer ein merkwürdiger Moment für Künstler jeglicher Art, wenn man etwas, an dem man lange gearbeitet hat, letztendlich veröffentlicht. Ab dann können sich die Leute eine Meinung darüber machen. Man darf aber schlechte Kritiken nicht zu sehr an sich rankommen lassen und sich darüber beschweren, sowas mag ich auch nicht. Es ist nunmal so, dass man Kunst macht - und andere Leute haben ihre Meinung dazu, so läuft das halt. Wenn jemand etwas nicht mag, dann haben sie halt Pech gehabt. Es ist gerade eine wirklich nervenaufreibende Zeit. Das Releasedatum kommt immer näher und wir spielen immer öfter auch neue Songs. Ich bin echt zufrieden mit der Platte. Natürlich werden manche Leute es nicht mögen. Niemand mag alles, was man produziert, aber es gibt auch Leute, die etwas aus Prinzip nicht mögen, weil sie einfach die Art, wie und auf welchem Level ich inzwischen arbeite, nicht gut heißen. Die finden sich dann total cool, aber ich find so ein Verhalten einfach nur nervig. Ich hab das inzwischen schon oft genug gemacht. Es ist nicht so, dass ich dran gewöhnt bin, ich bin immer noch furchtbar nervös - aber ich weiß, was ich zu erwarten habe. 

Im Frühjahr 2014 hattest Du eine Veranstaltung in Köln, bei der Du über Songwriting und die Geschichte hinter Deinen Liedern gesprochen hast. Würdest Du sowas nochmal tun?

Ja, das war wirklich schön. Gerade auch, da es das Songwriting und meine Songs im Fokus hatte. Wir haben ja zur Release des Buches eine Lesetour in England gemacht. Ein Freund von mir, der Journalist ist, hat mich dabei quasi auf der Bühne über das Tourleben interviewt, das war wirklich cool, weil wir in die Tiefe gehen konnten. Ehrlich gesagt, denke ich sogar im Moment darüber nach, als nächstes ein Buch über  das Songschreiben zu machen. Das würde super an "The Road Beneath My Feet" anknüpfen, weil es dort ja überhaupt nicht um meine Songs oder die Aufnahmen geht. 
Ich verbringe fast jede wache Minute damit, über Songs und das Schreiben derselben nachzudenken, darum denke ich, dass ich da einiges zu sagen habe.

Du coverst sehr viele Songs. Machst Du das nur aus Spaß oder steckt da ein tieferer Sinn dahinter?

Schon aus Spaß, aber auch für meine künstlerische Befriedigung. 
Es ist halt ein gutes Gefühl, meine eigene Version und meine Interpretation eines Songs zu finden. 
Je älter ich werde, desto mehr langweilt mich diese Kategorisierung in Genres ​und ich interessiere mich mehr für das Songwriting selbst. 

Ganz mal was anderes: Deine Fans können Dir sowohl Mails schreiben, als auch im Forum schreiben. Liest Du Dir alles durch?

Naja, also im Forum verpasse ich schon einiges, aber das schwankt von Tag zu Tag. Die Mails lese ich schon. Ich beantworte nicht alle, viele landen auch auf der Block-Liste, halt Leute, die mir Hass-Mails schreiben, oder die mir betrunken irgendwelchen Mist schicken - ich hab auch keine Lust, den ganzen Tag deren Unsinn zu lesen. Aber ansonsten beantworte ich die meisten Mails, weil ich denke, dass es das wert ist. Als Kind hab ich Henry Rollins (unter anderem Sänger von Black-Flag; A.d.R.) geschrieben und er hat mir geantwortet, was einen großen Einfluss auf mich hatte. 
Und 90 Prozent der Mails sind einfach großartig. Leute erzählen mir interessante Geschichten oder bieten mir irgendwelche coolen Sachen an. Vor kurzem hatte ich jemanden, der mir schrieb, dass er mit Tigern arbeitet. Mit Tigern, Tré (Tourmanagerin; A.d.R)!!

Tré: Tour-Tiger! 

Ja, und er hat uns angeboten, sie mal anschauen zu kommen. Es ist halt einfach cool, wenn mir jemand schreibt: "Hey, ich mag, was du tust, möchtest du mal einen Tiger anfassen?" Da kann man ja nur sagen: "Absolut, natürlich will ich einen Tiger streicheln." (lacht) 

Habt Ihr schon einen Tour-Hund für heute gefunden?

Nee, heute noch nicht (Tré: Tourtigers…) - du merkst, Tré ist immer noch ein wenig abwesend (lacht). Ich liebe Hunde und hätte wirklich gern einen eigenen, aber es ist halt einfach mit dem Tourleben nicht vereinbar. Aber vor Kurzem bin ich im Internet auf die Seite borrowmydoggy.com gestoßen, da kann man sich anmelden und die Hunde von anderen Leuten ausleihen. Vielleicht mach ich das mal irgendwann (grinst). 

Überhaupt, Du teilst ja sehr viel mit deinen Fans auf Twitter, sonst wüsste ich ja auch nichts von den Tour-Hunden. Gibt es irgendwas, was Du niemals posten würdest?

Ja… jede Menge, aber ich kann dir natürlich nichts darüber erzählen (lacht). Sachen aus meinen Privatleben, über meine Familie oder mein Liebesleben, sowas gehört halt nicht da rein. Von Zeit zu Zeit versuchen andere Leute, darüber zu reden und das macht mich jedes Mal echt wütend. Das ist eine der wenigen Sachen, mit der man mir so richtig auf die Nerven gehen kann. 

Du hast mal erwähnt, dass Du nach einer Tour manchmal Pakete bei Dir zu Hause vorfindest, die Du Dir, teilweise betrunken, bestellt hast und dich dementsprechend nicht mehr dran erinnern konntest. 

Jaa, das passiert, wobei ich es inzwischen besser im Griff habe (grinst).

Was war das Seltsamste, das Du Dir je bestellt hast?

Eine Globus-Bar, so eine Weltkugel, die man aufklappen kann und dann die ganzen Drinks drin hat. Das Ding ist ultra ​​cool, es steht jetzt bei mir zu Hause. Aber meistens sind es Bücher. Ich hab eine echt lange Merkliste. Zwar lese ich die meisten Sachen auf meinem Kindle, aber trotzdem komm ich manchmal heim und hab da zwanzig neue Bücher liegen.

Und was war das Nützlichste?

Die Globus-Bar (lacht). Man sieht aus wie der Bösewicht in einem James Bond-Film. Gerade sind die Jungs von Andrew Jackson Jihad für ein paar Tage in meinem Haus. Und als mich Sean gefragt hat "Hast du auch irgendwo Alkohol im Haus, Whiskey oder so?", meinte ich darauf "Nun, natürlich" und habe meinen Globus aufgeklappt. Seine Reaktion war echt witzig. 

Cool, dann danke ich für Deine Zeit und Deine Antworten.

Ja, es war echt witzig, ich hab zu danken. 

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