Interviews
21.11.2014 16vor.de Veranstalter
Guildo Horn

"Zum Zärtlichsein geboren?"

​So bunt und abwechslungsreich wie seine Garderobe ist auch das Spektrum seiner Arbeit: Guildo Horn war und ist – teilwei­se auch gleichzeitig – Musiker, Entertainer, Diplompädagoge, Talkmaster, Operetten- und Musicaldarsteller. Derzeit testet er für einen Bezahlsender Bundesliga-Stadien auf ihre Barrierefreiheit und bastelt an ei­nem neuen Album. "Wir werden die Musik neu erfinden, die Polschmelze stoppen und die Welt retten", kündigt der 51-Jährige, der natürlich am 23. Dezember 2014 wieder zu seinem Weihnachtskonzert in die Europa­halle einlädt, im Interview mit 16 VOR an.

HE-t9gLE9Os
Image

16vor.de: Seit einem Jahr sind Sie Sky-Botschafter. Sind Sie seitdem auch Sky-Kunde?

Guildo Horn: An den Wochenenden bin ich meist mit meinen Orthoposteln auf interemotionaler Mission, um aus unserem Liederzyklus "Satanische Schlager" zu zitieren. Da ist es mir leider so gut wie unmöglich, auch mal ins Stadion zu gehen. Ich liebe es, via SkyGo überall am Ball zu sein und finde stets gute Freunde, wenn ich mich mit meinem Tablet irgendwo niederlasse. Sky: Ein soziales Medium also. Ein fußballerischer Heilsbringer!

Hat das Ihr Zuschauerverhalten verändert? Sind Sie deswegen privat noch seltener im Stadion?

Die größte mediale Umstellung hat sich bei mir als Fernsehgucker mit der Erfindung des Festplattenrecordings eingestellt. Zeitversetztes Fernsehen löst die 20:15-Uhr-Doktrin und macht dich leichter!

Hat der Sender von Ihnen schon verlangt, eine seiner grauenhaften Schuluniformen zu tragen?

Beim Franz und bei mir ist man da etwas toleranter.

Welcher Mannschaft drücken Sie derzeit am meisten die Daumen? Die Entwicklung des 1. FC Köln sieht etwas rosiger aus als die der Trierer Eintracht.

Fußballfan zu sein verlangt von einem, vor allem viel Sorg und Leid auf seine Schultern laden zu können. Ich habe breite Schultern und obendrein zwei schlanke Daumen, also für jede meiner Mannschaften mindestens immer ein Däumchen am Start.

Der FC scheint auch vereinsintern stabilisiert, spielt aber jetzt so ein Defensivriegelgekicke, was nicht gerade ansehnlich ist. Parole: "Hauptsache nicht absteigen". Das verlangt eine Menge Kraft von mir, aber alles wird gut und Helmes feiert eine glorreiche Auferstehung und Poldi kommt natürlich wieder in die Heimat.

Was unsere Eintracht angeht: Die gilt als einzig legitimer Verfolger vom derzeitigen Playoff-Kandidaten Saarbrücken und wird sich bald wieder auf den oberen Plätzen etablieren. Das hab ich jedenfalls im Urin.

Als Sky-Botschafter testen Sie unter anderem Bundesliga-Stadien auf Barrierefreiheit. Wie ist Ihr Eindruck bisher?

Das sind zwei verschiedene Dinge. Als Botschafter der Sky-Stiftung setzte ich mich für Projekte ein, die Kinder und Jugendliche für mehr Bewegung und eine gesunde Lebensweise begeistern sollen, zum Beispiel für Sportferienlager oder Fußballprojekte für Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Als Sky-Reporter mache ich die Barriere-Checks in den Stadien. Alle Bundesligaclubs sind sich mittlerweile der Wichtigkeit dieses Themas bewusst und bemüht, eine passende Infrastruktur zu bieten, damit man auch mit einer Behinderung seiner Fußballleidenschaft frönen kann. Blindenreportage, geeignete Sitzplätze für Gehörlose, Rollstuhlrampen und vieles mehr. Das ist mal mehr, mal weniger perfekt, aber Barrierefreiheit ist ein Prozess, an dem man ständig arbeiten muss. Am besten funktioniert es, wenn die Vereine direkt mit den Betroffenen selbst planen - was sie meistens auch machen, denn das sind die Spezialisten auf dem Gebiet.

Bei meiner Arbeit in den Stadien finde ich es vor allem faszinierend, mich in die Erlebniswelten der behinderten Fans entführen zu lassen. Dann sieht man plötzlich, dass die vermeintliche Behinderung manchmal auch Vorteile mit sich bringt. Beim Spiel HSV ge­gen Eintracht Frankfurt war ich mit einem Gehörlosenfanclub unterwegs und begeistert davon, wie Präsident Holger sich mit seinem Kumpel, der zehn Plätze weiter saß, bei all dem Getöse um uns herum via Zeichenspra­che über das Spiel unterhalten konnte.

Diese Tätigkeit muss für Sie ein Traumjob sein – sie verbindet ihre Liebe für die Arbeit mit beeinträchtigten Men­schen und der für Fußball.

Das ist noch besser als ein Job in einer Konfiserie oder einer Brauerei. Oder sogar im Nordbad.

Besteht noch Kontakt zu ihrem früheren Arbeitgeber Lebenshilfe?

Die Arbeit in der Lebenshilfe hat mich für mein ganzes Leben geprägt. Ich war leider länger nicht in der Diedenhofenerstraße, arbeite aber oft und gerne mit der Bundesvereinigung der Lebenshilfe in unter­schiedlichen Projekten zusammen.

Ein wichtiges Thema der Lebenshilfe ist derzeit die Etablierung eines Netzwerkes für Leichte Sprache in Trier. Eigentlich böte sich dabei auch wieder die Zusammenarbeit mit einem Schlagersänger an.

Das sag ich ja schon immer: Kinder, der Schlager hat uns so viel zu geben!

Mit August Schrader scheidet jetzt der - meines Wissens - letzte Original-Strumpf aus. Was ist der Grund dafür? Und stimmt Sie das wehmütig, dass nun niemand mehr aus der Gründungszeit mit dabei ist?

Der liebe August kam erst 1997 zu den Strümpfen, aber wir haben jetzt 17 Jahre gemeinsam auf der Bühne verbracht. Das waren über 2000 verschwitzte Konzerte, über eine Million Kilometer zu zweit im Auto, plus Flüge, Schiffs- und Bahnreisen und vor allem Tage, Wochen und Monate Diskussionen über den Zustand des 1. FC Köln. Eine intensive Zeit. So lange hält heute kaum eine Ehe mehr.

Das hätten wir jetzt einfach so weitermachen können, bis einer von uns vom Ast oder Ästchen fällt. Aber wir haben uns gemeinsam dazu entschieden, noch mal neue Wege zu gehen. Schrader stürzt sich vollends in seine Arbeit mit Purple Schulz und wir, die neuformierte Orthopädentruppe, eine Ansammlung von ehemaligen Klassenclowns, stehen seit Jahresanfang mit roten Wangen wie frisch verliebt im Proberäumchen und im Studio und auf der Bühne. Aber der Au­gust wird stets in meinem kleinen warmen Herzen sein. Ein Orthopäde vor dem Herrn.

Demnächst soll ein neues Album mit neuen Schlagern und Weihnachtstiteln erscheinen. Was wird neu daran sein?

Wir werden die Musik neu erfinden, die Polschmelze stoppen und die Welt retten. Das Ganze zu übersichtlichen Preisen und in Stereo!

Was war die Ursache dafür, dass es sechs Jahre lang kein Album gegeben hat?

Sechs Jahre? Das hab ich ja gar nicht gemerkt, weil wir allzu oft im Studio sind. Aber dann treibt es einen halt mal wieder in eine andere Sache hinein und dann liegen die Liedchen plötzlich wieder ein paar Jahre in der Schublade. Mit CD oder Plattenverkäufen ernährt sich heutzutage ohnehin kein einziges Eichhörnchen mehr. Deshalb konzentrieren wir uns meist auf unseren Livebereich. Aber das lange Warten hat ja jetzt nun ein Ende.

Ende der 90er und Anfang der Nuller Jahre gab es ein großes Schlagerrevival - vor allem durch Sie. Haben Sie den Eindruck, dass die Zeit langsam wieder reif dafür ist?

Ich bin nun seit mehr als 20 Jahren auf dem Kreuzzug der Zärtlichkeit und habe eigentlich stets nur auf meine saftige Nasenspitze geschaut. Was ich sehe, gefällt mir, und was drumherum läuft, kriege ich gar nicht mit, weil ich mich jenseits meiner schönen Arbeit nie mit meiner schönen Arbeit beschäftige. Aber der Schlager war doch nie weg?

Zumindest ist seit etwa zwei paar Jahren aktueller Schlager wieder für Medien, vor allem für den Boulevard, interessant - wenn er sexy daherkommt mit Interpretinnen wie Helene Fischer oder der Leder-Berg. Verfolgen Sie diese Musik? Was machen Sie beispielsweise, wenn "Atemlos durch die Nacht" im Radio läuft?

Letzt abends habe ich vor einem Hotel in Stuttgart im Biergarten gesessen. Schräg gegenüber in einer salzigen Fußgängerunterführung hat sich gerade eine Truppe Punks nebst Hund, Katze, Maus komplett Klein- und Großhirn mit diversen Flüssigkeiten verbogen. Der Höhepunkt war eine Polonäse zum selbstgesungenen "Atemlos durch die Nacht". Da fand ich den Titel plötzlich richtig klasse.

Ihre Weihnachtskonzerte in Trier sind inzwischen so etabliert wie Weihnachten selbst. Es hat den Eindruck, als würden Sie irgendwann mit den Fü­ßen voran die Bühne verlassen wollen.

Das stimmt. Mit 51 Jahren sollte jeder vernünftige Erwerbstätige in Ruhestand treten.

Ursprünglich strebten Sie eine Karriere als Rockmusiker an. Denken Sie manchmal daran, wie es gewesen wäre, diesen Weg einzuschlagen? Sie hätten dann vermutlich vor allem Ihr Bühnenoutfit ändern müssen.

Ursprünglich strebte ich ein Leben als unerbittlicher Schlagzeuger an und träumte davon, ein Mal den Großen Saal in der Tufa füllen oder gar vielleicht einmal von der Musik leben zu können. Zum Warlord von Wacken hat's ja leider nicht gereicht, aber ich freue mich, als zarter Schlagerstern die Tanzcafés und Seniorenheime unserer Republik beleuchten zu dürfen. Vielleicht bin ich ja zum Zärtlichsein geboren?​

Bildgalerie



Karte anzeigen